„Low Budget“ bezeichnet im Kino den durchaus ehrenwerten Versuch, aus einer Idee auch mit wenig Geld einen gelungenen Film zu machen. In der Literatur, zu deren Herstellung man sowieso nicht so viel Geld braucht, könnte als „Low Budget“ der weniger ehrenwerte Versuch bezeichnet werden, auch ohne Idee, vor allem aber ohne Stil und Ambitionen einen Roman anzutäuschen. Vielleicht reicht es ja, wenn man Worte als Dauerplappern aneinanderreiht. So einen Roman legt nun der österreichische Autor Thomas Glavinic vor, der von Buch zu Buch für seine bizarren Einfälle gerühmt worden ist, der auf den großen Erfolg aber immer noch wartet.
Mal ging es, wie in der witzigen Literaturbetriebssatire „Das bin doch ich“ um einen hochneurotischen Schriftsteller, mal, wie in „Der Kameramörder“, um einen Typen, der Kinder zum Selbstmord zwang und dabei filmte, zuletzt, in „Das Leben der Wünsche“, um einen Mann, dessen geheimste Gedanken sich wundersam erfüllen, der aber seinen Wünschen rasch zu misstrauen lernt. Der originelle Einfall ist in Glavinic’ Literatur stets die halbe Miete, und wenn er Glück hat, dann trägt der Plot eine Romanlänge. In „Lisa“ ist das nicht der Fall. „Lisa“ liest sich so, als ob der Autor mal ausprobieren wollte, was sich der Literaturbetrieb so alles bieten lässt.
Das Setting ist schlicht: Ein Mann hat sich mit seinem kleinen Sohn in einem abgelegenen Haus im Gebirge versteckt. Er fürchtet, das nächste Opfer einer ultrabrutalen Serienmörderin zu sein, die rund um die Welt bei bestialischen Verbrechen – Hautabziehen, Bauchaufschlitzen und so weiter – ihre DNA-Spur hinterließ. Dass man diese DNA nach einem Einbruch auch in seiner Wohnung fand, ist also verständlicherweise beunruhigend, schafft jedenfalls die obligate Thriller-Atmosphäre einer dunklen Bedrohung. Der Ich-Erzähler sitzt also in seinem Berghaus und spricht zur eigenen Beruhigung Abend für Abend in ein Mikrofon, um sich per Internet-Radio an ein imaginäres Online-Auditorium zu wenden. Dazu kokst und säuft er jede Menge, was seiner Konzentrationsfähigkeit und dem Erzählfluss nicht bekommt. Fortwährend muss er sich die blutenden Nase putzen und dann unter die Dusche.
Dieser Erzähler ist eine Figur, die vom Autor für nichts als haltloses Gelaber angelegt wurde und die diese Bestimmung auch gnadenlos erfüllt. „Hallo da draußen, geht es noch?“ sagt er nach 90 ereignislosen Seiten. „Ich glaube, wer mir regelmäßig zuhört, kann selber nicht ganz richtig im Kopf sein.“ Da hat er mal recht: Tatsächlich würde man sein „Gefasel“, das er auch selbst so bezeichnet, im Netz nicht beachten, warum es also in Romanform lesen? Doch Glavinic war selbst diese Konstruktion noch zu anstrengend, und so hat er zusätzlich einen Wackelkontakt im Mikrofon installiert, der ihm erlaubt, jederzeit abzubrechen und neu anzusetzen. Einfacher kann ein Autor es sich nun wirklich nicht machen.
Die Geschichte mit der Mörderin, die den Phantomnamen „Lisa“ bekommt, dient lediglich als Schrittmacher für die zerstreuten Monologe des Erzählers. Es ist die Behauptung eines Thrillers, der dann aber nicht in die Gänge kommt. Stattdessen fortgesetztes Räsonieren über Hundebesitzer und wichtigtuerische Weintrinker. Es geht um sogenannte „Männerphantasien“ – ein Wort, das dem Erzähler zu unrecht immer so abfällig gebraucht wird – und um Frauen, mit denen er ein Problem zu haben scheint, um Sex und Drogen und auch ein wenig Rock ’n’ Roll. Das ist immer etwas angeberisch, manchmal hübsch boshaft und versuchsweise reaktionär, gelegentlich amüsant und auf eine nette Weise misanthropisch, auch wenn der Erzähler das bestreitet und lediglich als „Leidender am Gesamtzustand der individuellen Unerträglichkeit“ gesehen werden möchte. Die eigene Unerträglichkeit meint er damit jedoch nicht.
Es gehört schon einiges dazu, all dies Dahingesagte als „Meisterwerk der Komik und der Absurdität“, ja als „Psychogramm des Grauens“ anzupreisen, wie der Verlag das im Klappentext tut. Der Ort der Handlung ist – Low Budget! – immer derselbe: Berghütte mit Mikro. Wer nett sein möchte, könnte darin das medienkritische Thema virtueller Vereinsamung erahnen. Von Grauen aber keine Spur. Nebenfiguren, wie der kleine Sohn, bleiben unausgeführt und funktionslos. Die Geschichte bietet nicht mehr als die lüsterne Aufzählung bizarrer Gewaltverbrechen, um sich am Ende zuerst in Nichts aufzulösen – die Wattestäbchen der DNA-Tests waren verunreinigt, „Lisa“ existiert nicht – bevor eine originell sein wollende, wirklichkeitsübertrumpfende Wende folgt. Dann stellt sich heraus, dass die DNA zu einem Wesen gehört, das mehr als zweihunderttausend Jahre alt ist. Es muss sich also um einen Steinzeit-Zombie handeln, der da umgeht, denn das Böse war schon immer und ist überall. Das ist so blöd, spannungsarm und unkomisch wie das ganze Buch, also auch egal. Hauptsache, da kommt endlich jemand und bringt den Laberkopf zum Schweigen. Schade nur, dass das nicht schon 200 Seiten früher geschah.
Text: Jörg Magenau
zuerst erschienen in Süddeutsche Zeitung (08.02.2011)
Roman. Hanser Verlag, München 2011
204 Seiten, 17,90 Euro
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