BUCHKRITIK
Schockstarre – in diesen Zustand verfielen liberale Demokraten nach dem Wahlsieg von Donald Trump. Glaubt man Naomi Klein, war das kein Zufall, sondern Programm. In ihrem neuen Buch beschreibt die kanadische Aktivistin den neuen US-Präsidenten als „Prototypus des Katastrophenkapitalisten“.
HÖREN
Auf den ersten Blick wirkt es unangenehm narzisstisch, wenn Klein das Phänomen Trump an ihre erfolgreichen Bestseller „No Logo“ (2000) und „Die Schockstrategie“ (2007) erinnert. Aber es stimmt ja: Der Sieg des ungehobelten Unternehmers ist der Triumph einer knallharten Markenstrategie. Und seine schockierenden Auftritte sollen einen Zustand der Desorientierung erzeugen, in dem sich Trumps populistische Gegenrevolution besser durchsetzen lässt. Für Klein ist Trump der ultimative Sieg des Neoliberalismus. Der müsse sich nun nicht mehr der „Maske“ des willigen Politikers bedienen. Ihr Argument, dass Trumps „Blitzkrieg der konzernfreundlichen Politik“ das Eingeständnis verhindern soll, „dass das neoliberale Projekt am Ende ist“, ließe sich aber auch als sein letztes Aufbäumen deuten. Trumps Vorbilder ortet sie in der Diktatur Augusto Pinochets in Chile, dem Wirken des US-Statthalters Paul Bremer im Irak nach der Invasion 2003 und die Politik in New Orleans nach dem Hurrikan Katrina. An all diesen Orten wurde der öffentliche Sektor abgebaut, die Wirtschaft dereguliert und die Bildung privatisiert.
Politische Kampfrhetorik im Plauderton
Naomi Klein hat weder die philosophische Schärfe eines Alain Badiou, der in seinem jüngsten Buch „Trump“ vom „demokratischen Faschismus“ spricht. Noch hat sie den kulturtheoretischen Esprit eines Georg Seeßlen, der in dem Ex-Talkmaster in seiner – ebenfalls „Trump“ betitelten – Streitschrift den Popstar im Politiker erkennt.
Ihr diesmal im – wie sie selbstkritisch zugibt – „Plauderton“ gehaltener Band schwankt zwischen traditioneller Politologie und politischer Kampfrhetorik. Mal spricht sie von „rückwärtsgewandtem Nationalismus“, dann vom „Staatstreich der Konzerne“ oder von Trumps Regierung als einer „Bande dreister Plutokraten“.
Vorschläge für progressive Allianzen in Europa
Den indigenen Völkern Kanadas entlehnt sie ihr politisches Selbstverständnis als „Beschützer“ von Erde und Wasser. Und mit Pathosformeln wie der „Wiedergeburt der Menschheit“ streift sie gelegentlich die Grenze zur Widerstandsfolklore.
Dennoch ist ihr Buch ungemein wichtig: Denn sie beschwört nicht nur allgemein die „Große Wende“, die Bewegungen „Gegen Trump“ erzwingen sollen. Ihre Streitschrift, eine Art Abfallprodukt des „Leap-Manifestos“, das kanadische Künstler und Wissenschaftler im Wahlkampf 2015 gegen die antiökologische Politik des damaligen konservativen Premier Stephen Harper verfassten, ist gespickt mit konkreten Vorschlägen, die auch als Blaupause für progressive Allianzen in Europa dienen könnten. Auch wenn es im Moment nicht danach aussieht: Aus Forderungen wie dem Ende der Subventionierung fossiler Brennstoffe, Finanztransaktionssteuern, einer Kohlenstoffsteuer, der Senkung der Militärausgaben und der Bildung lokaler Energie-Genossenschaften ließe sich eines Tages durchaus eine mehrheitsfähige „Schockstrategie“ von links formen.
Ingo Arend
Quelle: Deutschlandfunk Kultur | BUCHKRITIK | Beitrag vom 17.07.2017
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Naomi Klein: „Gegen Trump. Wie es dazu kam und was wir jetzt tun müssen“
Aus dem Amerikanischen von Gabriele Gockel,
Sonja Schumacher und Claus Varrelmann,
S. Fischer-Verlag, Frankfurt am Main, 2017
22 Euro
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