Aufstand gegen den Provinzialismus – Das Cottbuser Kunstmuseum erinnerte an das erstaunliche Künstlerkollektiv Clara Mosch.
Not macht erfinderisch. Diesen Spruch hört das künstlerische Prekariat von heute nicht so gern. Es ruft nach Stipendien, Atelierhäusern und Ausstellungshonoraren. Dass der scheinbar reaktionäre Spruch dennoch etwas für sich hat, ließe sich an Clara Mosch aus Karl-Marx-Stadt exemplifizieren.
Was sich wie der Name einer DDR-Frauenrechtlerin anhört, war eine Künstlergruppe. Der ominöse Name ist ein Akronym, das sich aus den Familiennamen der beteiligten fünf Künstler zusammensetzt: Thomas Ranft, dessen Frau Dagmar Ranft-Schinke, Michael Morgner, Gregor-Torsten Schade und der DDR-Künstlerlegende Carl-Friedrich Claus.
Als die Gruppe am 30. Mai 1977 in einer Produzentengalerie der damaligen DDR-Bezirksstadt zu einer Ausstellungseröffnung einlud, und das auch noch mit einem Plakat, das das Gesicht einer verschleierten Frau auf dem DDR-Personalausweis zeigte, rief das die Stasi auf den Plan. Doch an Umsturz hatte das Quintett gar nicht gedacht.
Der Grafiker und Zeichner Michael Morgner, Jahrgang 1974, sah in Clara Mosch eher eine „Notgruppe angesichts der Situation qualitätslosen Sozialistischen Realismus … einen Protest gegen Provinzialismus. Wir hatten überhaupt kein Programm, sondern Mosch war ein Boot für alle Leute, die nicht untergehen wollten“.
Was die Gruppe verband, so der 1945 geborene Thomas Ranft, Initiator der Gruppe, war der „Vorversuch zu einer unkonventionellen Kommunikationsart, offen für existentielle Fragestellungen“. Er reklamierte eine „Form des Andersseins“. Auf diesem Notgefährt entstanden einige der schönsten Werke der Kunst aus der DDR.
Freunde der Konzept- und Politkunst zeitgenössischer Provenienz kommen in der Schau, die Kurator Jörg Sperling vom württembergischen Museum Albstadt übernommen und für das Cottbuser Kunstmuseum überzeugend adaptiert hat, nicht auf ihre Kosten. So aus der Zeit gefallen wirkt das Oeuvre dieses Kollektivs aus Individualisten.
Die Frontstellung gegen den Realismus eines Sitte, Heisig oder Mattheuer schlug sich in den lyrisch versponnenen Zeichnungen Ranfts oder dem gestischen Expressionismus seiner Frau Dagmar nieder. Titel wie „Strömungen“, „Wachstum“ und „Kreatur“ verwiesen immer wieder auf die Natur als Impulsgeber.
Und selbst die transparenten Tuschzeichnungen und Schriftblätter zur kommunistischen Kosmologie von Carl-Friedrich Claus, dem unbotmäßigen Marxisten und Eremiten aus dem erzgebirgischen Annaberg – mit ihnen beginnt die Ausstellung – wirken immer wie filigrane Traumgespinste.
Die Moschianer beließen es freilich nicht bei der Arbeit im „Ich-Gestein“ (Gerhard Altenbourg). Vor allem die Pleinair-Aktionen machten die Gruppe berühmt. Deren psychosoziale Dynamik lässt sich nachträglich kaum wieder zum Leben erwecken.
Die Schwarz-Weiß-Fotografien des später als Stasi-Spitzel enttarnten Rolf-Dieter Wasse lassen den intermedialen, anarchistischen Aktionismus, der die Behörden so ängstigte, aber zumindest erahnen.
Ob sich Clara Mosch zu einem konspirativen „Workshop Mehl-Art“ unter dem Motto „Wir backen Kunst“ traf. Ob sie an einem verschlickten See in Mecklenburg 1981 Michael Morgners Re-Enactment von Jesus‘ Gang über das Wasser filmte. Oder ob sie die, aus den Holzresten eines gerodeten Waldstücks gefertigten Objekte verbrannte und in Reagenzgläser füllte.
Bis 1982 fanden in den Räumen der Galerie 29 Ausstellungen statt. Am 27. November 1982, dem letzten Ausstellungstag, schließt Clara Mosch. Die perfide Strategie der Zersetzung der Stasi: provozierte Ehekonflikte, Gerüchte unter den Beteiligten, Ködern mit lukrativen Staatsaufträgen, hatte gewirkt.
Was bleibt ist nicht nur ein zeichnerisches Oeuvre von einzigartiger Qualität, sondern auch das einzigartige Beispiel einer politischen Ästhetik jenseits politischer Symbole. Clara Mosch setzte auf Existenzzeichen und Selbst-Bewusstsein, auf Ironie und Subtilität, auf Hand-Werk im ursprünglichen Sinne.
Die Provinzdiktatur namens DDR stürzte das „Energiebündel der Phantasie, ausstrahlend nach fünf Richtungen“ (Ranft-Schinke) zwar nicht. Es gelang ihm aber genau die gute Kunst im schlechten System, die Kritiker der DDR-Kunst bis heute absprechen wollen.
In einer Radierung lotet Thomas Ranft diese Dialektik aus. Ein schemenhafter Menschen-Torso schlägt mit lädierten Gliedmaßen in einem nur schraffurartig angedeuteten Raum aus sich überlappenden Lichtbalken und Dunkelzonen um sich. Ungewohnt programmatisch nannte der Künstler sein Werk: „Räume schaffen“.
Ingo Arend
AUSSTELLUNG
Clara Mosch 1977-1982. Kunst in der DDR zwischen Repression und Selbstbestimmung.
Kunstmuseum Dieselkraftwerk Cottbus
Booklet, 5 Euro
Bild ganz oben:
Lutz Dammbeck: Clara Mosch, 1977. Offsetlithografie, Siebdruck . dkw. Kunstmuseum Dieselkraftwerk Cottbus .
Foto: Alexander Janetzko. © VG Bild-Kunst, Bonn 2016
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