Anmerkungen zu Daniel Kehlmanns Roman „Ich und Kaminski“
Parasiten
Ich und Kaminski – schon im Titel von Daniel Kehlmanns viertem Roman wird jener Vorrang der Rezeption vor der Kunst behauptet, der aus der Welt der Kunst das viel gescholtene „Betriebssystem Kunst“ gemacht hat. In ihm weiß man nicht mehr viel von Kunst selbst, wohl aber, wie man Positionen besetzt, Bedeutung markiert, Signale setzt und sich eine Karriere bastelt. Sebastian Zöllner, der Held von Kehlmanns schmalem Band, ist der Prototyp des ebenso dreisten wie ignoranten Strategen in diesem Betriebssystem. Er plant eine Biographie über Manuel Kaminski, einen in Vergessenheit geratenen Maler vom Beginn des vorigen Jahrhunderts. Als Kritiker hat Zöllner nicht viel zu bieten.
Zöllner ist durch eine Kette von Zufällen in den Journalismus gerutscht. Schon in der Universität hat er seine Referate aus dem Lexikon abgeschrieben. Nicht ein theoretisches Interesse treibt ihn zu dem Biographie-Projekt, sondern die Hoffnung auf ein Sprungbrett ins System. Man würde, so hofft dieser aufdringliche Taugenichts, ihn nach Erscheinen seines Buches ins Fernsehen einladen, über ihn sprechen „und am unteren Bildrand würde in weißen Buchstaben mein Name und Kaminskis Biograph eingeblendet sein. Das würde mir einen Posten bei einem der großen Kunstmagazine einbringen.“
Man sieht schon: Ich und Kaminski ist kein klassischer Künstlerroman. Es geht Kehlmann nicht darum, mit Hilfe der fiktiven Biographie eines Malers, über den Breton einen „begeisterten Artikel“ schrieb und dem Picasso drei Bilder abgekauft hat, etwa die Frühzeit der Moderne neu aufzurollen. Kehlmann will auch keinen Schlüsselroman schreiben. Selbst wenn ihm für Manuel Kaminski erkennbar die Figur des 1908 geborenen Malers Balthazar Klossowski de Rola, genannt „Balthus“, Pate gestanden hat. Wie dieser lebt Kaminski in einem abgelegenen Bergdorf in den Alpen. Wie dieser schafft Kaminski den Durchbruch mit einer Ausstellung in New York. Doch er weitet das Vorbild dieser Figur zu einem Prototypus.
Im Kelleratelier von Kaminskis Bergzuflucht verstaubt eine geheime Serie von Porträtversuchen. Kaminskis legendärer Bilderzyklus der Reflexionen dagegen hängt komplett im Metropolitan Museum in New York. In diesen Werken, auf denen Spiegel zu sehen sind, die einander in unterschiedlichem Winkel gegenüberstehen, könnte man auch einen Maler wie Gerhard Richter erkennen, seine Grundfrage nach der generellen Darstellbarkeit vonRealität oder eine Anspielung auf die gefürchtete Selbstreferentialität der modernen Kunst: „Grausilbrige Gänge in die Unendlichkeit öffneten sich, leicht gekrümmt, erfüllt von unheimlichem, kaltem Licht“.
All diese Bezüge tippt Kehlmann nur an. In erster Linie spießt er mit seiner bizarren Künstlerpersönlichkeit subtil und ironisch die Mythen des Kunstmarktes und des Kunstsystems auf. Kehlmann hüllt seinen greisen Genius in das Gewand der Künstlerlegende, die nur weitergeraunt wird und deren Einzelheiten im Dunkel liegen. Kaminskis Kunst beruht natürlich auf einem Schlüsselerlebnis. Nachdem er sich versehentlich in einer Salzmine in Frankreich verlaufen hatte, soll er sich tagelang eingeschlossen haben: „Aber von da an malte er vollkommen anders“.
Der Aufstieg zum künstlerischen Ruhm ist bei Kehlmann ein Zufall, den man am besten mit Tricks erreicht, die eine unfassbare Größe suggerieren. Erst hängt rein zufällig ein Bild Kaminskis in einer Pariser Surrealisten-Ausstellung. Das fällt zufällig dem amerikanischen Maler und Bildhauer Claes Oldenburg auf. Der erreicht nun, dass der legendäre New Yorker Avantgardegalerist Leo Castelli in seinen Räumen ein Bild Kaminskis aufhängt, dessen Titel man einfach mit dem unheilschwangeren Zusatz: „painted by a blind man“ erweitert. Die Kunstwelt steht erschüttert. Der Durchbruch ist geschafft. A legend is born!
Klar, dass sich Kehlmann mit solchen Bildern mitunter hart am Rande der Klischees bewegt, die der Normalbürger über die „Insassen“ des oft ja ziemlich geschlossenen Kunstsystems gern hegt und pflegt. Kritiker sind unnütz und schwafeln, was die Situation gerade gebietet – das ist ein zwiespältiger Subtext von Kehlmanns Buch. Sein „Held“ Zöllner hat nämlich einen ausgeprägten Hang zum opportunistischen Urteil. Das „parasitäre Verhältnis“, das darzustellen Kehlmann so faszinierte, existiert nun ohne Zweifel. Es ist in Wahrheit aber vielschichtiger.
Denn der Künstler braucht die Kritik als Widerpart und Spiegel. Beide sind Parasiten. Und wenn sich Zöllner bei einer gemeinsamen Reise an die Ostsee, wo Kaminskis tot geglaubte Jugendliebe Therese lebt, von dem Maler nach Strich und Faden ausnehmen lässt, anstatt dass der ihm die ersehnten Exklusivinformationen ausplaudert, kehrt Kehlmann das Verhältnis nur um. So verbleibt er an der Oberfläche einer vielschichtigen Osmose, deren verschlungene Kanäle ein differenzierteres Bild verdient hätten.
Diese inhaltlichen Mängel wiegt Kehlmanns Erzählkunst aber mehr als auf. Sein federnd leichter, aber niemals seichter Erzählstil und der komplexe, perfekt verschlüsselte Hintergrund mit vielen sorgsam verarbeiteten Anspielungen machen den 1975 in Wien geborenen Daniel Kehlmann zu einer Ausnahmeerscheinung unter den jungen deutschen Literaten. Denn er paart die Leichtigkeit, mit der sich die jüngere deutsche Pop-Literatur so gern begnügt, mit einer klug durchdachten, penibel recherchierten Idee und vorzüglicher Konstruktion. Kehlmanns Sprache ist klar und geradlinig. Seine Bücher sind so transparent und stringent aufgebaut wie Kristalle.
So gesehen hat er den Abfall des Betriebssystems Kunst doch noch in wahre Kunst transformiert. Ein ästhetisches Recycling, das sich sehen lassen kann. Wenn der für sein Alter ausgesprochen produktive Autor so gut weitermacht, wird er sich mit über kurz oder lang irgendeinem Sebastian Zöllner gegenübersehen, dem es dann vermutlich um die Frage geht: Ich und Kehlmann.
Ingo Arend
Daniel Kehlmann: Ich und Kaminski
suhrkamp taschenbuch 3653, Berlin 2004
174 Seiten,
7,99 Euro
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