Tod in der Ägäis
Die Ausstellung “No Country for Young Men” im Brüsseler Kunstpalast Bozar zeigt die Antwort von 32 Künstlerinnen und Künstler auf die Krise in Griechenland
Eine wütende Menschenmenge mit roten Fahnen, die sich verzweifelt einer Phalanx behelmter Polizisten mit Schlagstöcken in der Hand entgegenwirft. Zwischen den feindlichen Gruppen weht ein langes Spruchband. Das Foto des Künstlers Alkis Konstantinidis aus dem Jahr 2010 bringt das Bild auf den Punkt, das der Rest Europas in den letzten Jahren von Griechenland hatte: Ein von heftigen Kämpfen erschüttertes, ein zweigeteiltes Land.
Konstantinidis Arbeit, Teil einer seit 2010 andauernden Serie mit dem Titel “The Years of Crisis”, gehört noch zu dem dokumentarischsten Part der Ausstellung “No Country for Young Men”. Darin versucht Katerina Gregos das politische, ökonomische und kulturelle Drama in ihrer Heimat Griechenland ästhetisch aufzuarbeiten. 32 Künstler hat die Kuratorin, seit zwei Jahren auch Direktorin der Art Brüssel, dazu in den Kunstpalast Bozar eingeladen. Zeitgleich mit der griechischen Ratspräsidentschaft der EU derzeit kontrastiert sie damit die offizielle Kunstausstellung des griechischen Staates, „Nautilus: Navigating Greece“, die ebenfalls im Bozar zu sehen ist. In ihr kommt der Zustand “Krise” kaum vor.
Das Wechselverhältnis von Politik und Kunst gehört zu Gregos’ Spezialitäten. Im Sommer 2012 erregte sie mit der Ausstellung “The State of Human Rights” im belgischen Mechelen Aufsehen – einer Schau zum Thema Menschenrechte. Im gleichen Jahr kokuratierte sie die Manifesta im belgischen Kohleort Genk. In der Brüsseler Ausstellung bietet die 1967 in Athen geborene Frau erneut eine sehenswerte Mischung politisch inspirierter Ästhetik auf.
Der Titel der Ausstellung ist dem Titel des 2005 erschienenen Roman “No Country for old men” des amerikanischen Schriftstellers Cormac McCarthy entlehnt. Doch um den Exodus der Jugend allein – 64 Prozent der jungen Griechen unter 25 Jahren haben keine Arbeit, betont Gregos – geht es in den wenigsten Arbeiten. Eher steht das Motto für den Verlust von Perspektive generell. Wie man an Panos Kokkinias’ Fotoarbeit “Yiorgis” aus dem Jahr 2011 sehen kann. Ein junger griechischer Tsolias – Angehöriger der Ehrengarde des Präsidenten – treibt darauf rücklings in traditionell griechischer Bekleidung: weißes Pluderhemd, bestickte Weste und Stiefeln mit roten Gamaschen in der perfekten Urlaubskulisse der türkischen Ägäis – Sinnbild für das Ende eines Mythos.
Kokkinias’ Bild belegt: Die Schau erschöpft sich keineswegs Sozialrealismus und Agitprop. Was man angesichts des Hardcore-Verismus, für den der Name McCarthy steht, ja denken könnte. Die Mischung aus Wut, Gewalt und Hoffnungslosigkeit, die den Kern der griechischen Krise ausmacht, ist zwar in allen Werken zu spüren. Zumeist überführen die beteiligten Künstlern sie aber in eine metaphorische Ästhetik. Ob man nun Poka-Yio’s Arbeit “Boney-Ass Blue” aus dem Jahr 2011 nimmt. Oder Manolis Anastasakos und Alexandros Vasmoulakis Video “Study for a Riot” aus dem Jahr 2010. Einmal hängt die griechische Fahne buchstäblich in Fetzen billigen, blau-weißen Stoffs. Im zweiten Werk zerspringt bei einer Performance in einer stillgelegten Keramikfabrik eine WC-Schüssel in tausend Einzelteile. Das rote Pulver, mit dem die Scherben bedeckt werden, ruft das blutige Ende vieler Demonstrationen auf.
Die Anklagen gegen die Akteure des internationalen Finanzsystems kommen mal ironisch daher: Michalis Kallimopoulos läßt in seinen Wasserfarbenbildern “Here comes the Investors” von 2009 eine Armada grinsender Eierköpfe in kleinen Papierbooten griechischen Boden ansegeln. Mal geht es um die gefährlich verschobenen Maßverhältnisse des Politischen. Die Länderbewertungen von Rating-Agenturen wie Moody’s nimmt Antonis Pittas mit einer Architekturinstallation auf. “Caa3” nennt er sie nach einer der Bewertungen Griechenlands. In der Arbeit eingelassen ist die Fotografie der Decke des griechischen Parlaments. Ceiling – die englische Vokabel für die Länderbewertung bedeutet auch Decke – ruft den Souverän in Erinnerung, der bei diesen Finanzmanövern am Ende meist auf der Strecke bleibt.
Dass “No Country for Young Men” keinen durchgehenden roten Faden hat, schadet nichts. Ein kohärentes Narrativ würde dem realen griechischen Chaos kaum gerecht. Insofern stimmt auch die Ausstellungsarchitektur von Danae Giamalaki. Der Besucher irrt durch ein klaustrophobisches Holzylabyrinth, das die Designerin in die Hallen gebaut hat. Und wie es sich in einem Labyrinth gehört, gibt es keinen eindeutigen Ausweg aus dem Dilemma.
Man kann den defensiven Weg wählen, auf den Zissis Kotionis mit seiner Soundinstallation A.D.A.P.T. anspielt. Der mit einem Mikrofon bewaffnete “Apparat zum Schutz gegen Polizei-Terror” aus vier recht- und dreieckigen Holz- oder Metallpaneelen kann zum Schutz gegen die Polizei verwandt, zu einem Zelt oder zu “Speaker’s Corner” umgebaut werden.
Man kann aber auch den assoziativen Weg wählen. Die Posterserie “Festive Activities” von Maria Papadimitriou erinnert an ihr Projekt “Souzy Tros”. Auf einer urbanen Brache am Stadtrand von Athen konnten Menschen oder Gruppen zusammen arbeiten, kochen, reparieren oder tauschen – bescheidener Vorschein dessen, was der italienische Philosoph Giorgio Agamben einmal “die kommende Gemeinschaft” genannt hat.
Ingo Arend
AUSSTELLUNG
No Country for Young Men
Contemporary Greek Art in Times of Crisis
Bozar, Brüssel
noch bis zum 3.8.2014
Catalog / visitor’s guide
No Country for Young Men
96 pages, Softcover
free
EN
BOZAR BOOKS ISBN 9789074816410
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21. Juli 2014 um 19:07 Uhr
Gibt es keinen Katalog über die Ausstellung: no country for young men?
Wenn schon die griech. Euro-Politiker sich in Brüssel nicht bemerkbar machen, sollten wenigstens die griech. Künstler es tun.
22. Juli 2014 um 07:42 Uhr
Danke für Ihr Interesse. Den Beitrag haben wir mit den Informationen über den Katalog aktualisiert.
Hier geht es zur PDF: http://www.bozar.be/b3/userfiles/files/NOCOUNTRY_def_LR.pdf