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Juan A. Gáitan, Kurator der 8. Berlin-Biennale mit seinem Team im Hof der Berliner Kunst-Werke.
Courtesy: Kunst-Werke. Foto: Anders Sune Berg

 

Subtil, poetisch, politisch

Bücher, Papiere, Notizblätter. Auf dem Tisch liegen in Pappschubern die Aufzeichnungen eines fiktiven Mannes, in denen dieser sein Leben im Karibiksozialismus Revue passieren lässt. Ringsherum hängen in zehn maßgefertigten Rahmen aus kubanischem Holz die Porträts der Führer des ehemaligen Ostblocks. Auf einer der gegenüberliegenden Wände hängt eine Reihe stahlverstärkter Stäbe in kyrillischer Schrift, die das Wort Kommerz ergeben.

Wer will, kann in Tonels Arbeit Commerce von 2014 des Biennalen-Pudels Kern sehen. Setzt das vielteilige Werk des 1958 geborenen Künstlers in der großen Halle der Berliner Kunst-Werke doch geradezu vorbildhaft die Idee von den “Überschneidungen von größeren historischen Narrativen und dem individuellen Leben” um, die Juan A. Gaitàn zu einem Kernanliegen seiner Biennale gemacht hatte. Denn darin setzt sich Tonel mit der Frage auseinander, wie in seinem sozialistischen Vaterland die Wissenschaft im Wettlauf der Systeme während des Kalten Krieges instrumentalisiert wurde.

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Tonel: Commerce, 2014. 10 maßgefertigte Rahmen aus kubanischem Holz, ca. 48 gerahmte Zeichnungen,
Präsentationstisch mit Objekten, Drucken, 3 Künstlerbücher mit Soundtracks, Wandtext aus stahlverstärkten Stäben, Wandzeichnung.
Installationsansicht. Courtesy Tonel. Foto: Anders Sune Berg

Um irgendeine monothematische Durchhalteübung ging es dem 1973 in Toronto geborenen Mann bei der 8. Ausgabe der 1998 gegründeten Schau freilich nicht. Auf den ersten Blick verwirrt seine Biennale, weil man die ganz große These vermisst. Die genervten Rezensenten lamentierten unmittelbar nach der Eröffnung über den fehlenden politischen Schwung. Und offenbarten damit, wie stark sie von einer Biennalen-Kunst geprägt sind. Besser gesagt: Von einer bestimmten pseudo-“politischen” Biennalen-Kunst.

Doch so unaufgeregt und verhalten die Biennale vielleicht auch daher kam: unpolitisch, ohne Bezug zur sozialen, ökonomischen und kulturellen Realität war sie beileibe nicht. Wenn Bianca Baldi in ihrem Video Zero Latitude von 2014 beispielsweise zwei Männer ein Feldbett für Afrika-Forscher aus einem Louis-Vuitton-Koffer von 1905 auspacken lässt, geht es um die Nachwehen des Kolonialismus – schwere, politische Kost also. Auf die stille Präzision, mit der sich das modische Attribut in dem Video – im wahrsten Sinne des Wortes – entfaltet, kommen wir noch zurück.

Wenn Saadane Afif in seiner Installation Là-bas von 2014 den Miniaturnachbau eines Gleises des Bahnhofs von Düren zugleich in einen Raum des Museums in Berlin-Dahlem und den des Hoesch-Museums in Düren stellt, geht es einfach um die Reflexion von Hier und Dort. Juan Gaitáns Biennale lebt von der Vielfalt der Themen, der Genres und der Haltungen. Sie kümmert sich um die Maßverhältnisse der Kunst ebenso wie um die der Politik. Dabei tut sie es leise. So leise und zart wie der 71-jährige, indische Künstler Vivan Sundaram.

Bei dem die Tatsache, dass die feinen Zeichnungen seine Serie From the First World / From the Third World aus dem Jahr 1991 mit Motorenöl und Holzkohle gezeichnet sind, schon das politische Statement sind: Der Raubbau an den fossilen Energieträgern ist dieser Kunst quasi ins Material geschrieben. Nicht so sehr in das Motiv, welches so filigran ist, dass man den Bezug zu Sundarams Themen: Öl-Geopolitik, den Militarismus im Nahen Osten und den Ersten Golfkrieg von Zeichnungen nur ausmachen kann, wenn man sich diese Bilder lange und aufmerksam anschaut. Sieht man von ein paar Ausrutschern ab – verfolgt Gaitáns Biennale dieses Anliegen vor allem mit einem erkennbaren Interesse an Qualität. Und sie macht aus diesem jump back into the aesthetics kein Dogma, das drohend in der Landschaft steht. Oder dem Rest der “Gegenwartskunst” auf der Welt den Weg für die nächste Dekade weisen will.

Die beiden schwarzen Klammern, die als markantes Logo von Gaitáns Schau dienen, spielen offen mit dem kuratorischen Understatement. Wer etwas in Klammern setzt, nimmt ihm die Wichtigkeit, gibt es als Nebenschauplatz aus. Doch die optischen Symbole signalisieren auch, dass es Zwischenraum gibt, in dem die Kunst genügend Platz hat, um sich zu entfalten. Und der Betrachter nicht immer nur Belegstücke für irgendeinen überwölbenden Biennale-Slogan abhakt.

Um das Verhältnis Individuum-Geschichte auszuloten, hätte der Kurator seine Biennale auch nicht nach Dahlem verlegen müssen. In Interviews vorab hatte sich der Kurator verwundert über die Versuche der Berliner Stadtplanung gezeigt, einen geistigen und architektonischen Kurzschluss zwischen dem 19. und dem 21. Jahrhundert herzustellen und dabei das 20. Jahrhundert zu überspringen.

Der Standort Ethnologisches Museum in der Villen- und Gartenstadt im Südwesten Berlins ist vielleicht noch das deutlichste Statement zu dieser Beobachtung. Denn wenn der 1967 wiedereröffnete Bau etwas demonstriert, dann die Architektur dieser Zwischenzeit. Zusammen mit dem wenige Kilometer entfernten Haus am Waldsee, dem dritten Biennale-Standort, ist der lichte Zweckbau Gaitáns deutlicher Kontrapunkt gegen den grassierenden Mitte-Hype, dem bislang noch fast alle Biennalen erlegen waren. Insofern war es höchste Zeit für eine symbolische Gegenbewegung.

Die dort präsentierte Kunst nimmt solche Kuratoren-Fragen freilich eher indirekt auf. So melancholisch, wie in Rosa Barbas Film Subconscious Society von 2013 der Blick der Kamera über ein altes Industriekraftwerk, über seltsame Gesteinsformationen an der englischen Küste oder die Wüste um die texanische Stadt Marfa schweift, gleicht das einer archivierenden Suche nach den Überresten der Vergangenheit. Drückt also mehr eine historische Haltung aus als dass es eine bestimmte Vergangenheit grell inszeniert.

Wenn der Berliner Künstler Olaf Nicolai das schwarz- weiße Bodenornament eines leerstehenden Shopping-Centers aus dem Stadtteil Lichtenberg in neu gemischter Form auf den Boden des Foyers der Museen in Dahlem aufbringt, dann thematisiert er diese, in eine seltsame Schieflage geratene Topographie der Stadt. Er bringt den extremen Westen und den extremen Osten zueinander. Und er visualisiert die Verdrängungsprozesse, die damit einher gegangen sind: Das Einkaufscenter überlagert das Museum, das Museum zieht bald in das falsche Schloß in der Berliner Stadtmitte. Dort, wo einst der Palast der Republik stand.

Genauso subtil nähern sich viele Arbeiten Komplexen, die in dem Dahlemer Haus selbst eine Rolle spielen. Wenn die mexikanische Künstlerin Mariana Castillo Deball Objekte aus der Mesoamerikanischen Abteilung des Museums auf Stahlgestellen drapiert. Wenn sie die legendäre Göttin mit dem Perlenturban, die einst eine Briefmarke der Bundespost zierte, später aber als Fälschung enttarnt wurde, auf ein Podest stellt, macht sie auf die Konstruktion von Geschichte aus den Interessen der Gegenwart aufmerksam.

Das klassifizierende Interesse, der ethnologische Blick, die in Museen wie dem in Dahlem häufig zu finden ist, hat auch den englischen Künstler David Cahlmers Alesworth inspiriert. In seiner Aquarellserie Trees of Pakistan hält der Landschaftsarchitekt und Gartenberater Baumarten in den Großstädten seiner neuen Heimat Pakistan fest. Wie um die Kolonialisierung der Natur in den Metropolen zu demonstrieren, hat er aber all die Dinge mit abgebildet, die man sonst eher nicht auf Bäumen findet. In einem wohnt ein Mann, unter einem steht ein Öltank, auf den Zweigen eines Dritten stecken kleine Hüte.

Noch indirekter geht Wolfgang Tillmans vor. Von dem 1968 geborene Fotograf findet man im “Eastern Woodlands Room” des Dahlemer Museums einen bunten Sneaker in einer Glasvitrine, Fotos vom Sicherheitscheck an irgendeinem internationalen Flughafen oder die Bilder ausgeweideter Krustentiere, in deren Resten ein Insekt haust. Ganz offenkundig geht es Tillmans in seiner Arbeit untitled von 2014 darum, den Kontrast zwischen den Objekten, die sonst hier aufgebahrt werden und seinen Objekten und Situationen zu evozieren. Referenz vor dem kulturellem Hochamt Museum ebenso wie seine Kritik – ein subtiles Wechselspiel zwischen kultureller Aufwertung und Profanisierung.

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Wolfgang Tillmans. Installationsansicht/ Courtesy Galerie Buchholz, Berlin/Cologne;
Maureen Paley, London; David Zwirnet, New York
Foto: Anders Sune Berg (mehr Information siehe unten)

Gaitans schon im Vorfeld der Biennale gestreutes, problematisches Statement, dass Kunst die Technik der Individuation sei, die den Mensch vor den Formierungszwängen der Massengesellschaft schützt, klingt nach einem Rückfall in die Romantik. Auch bei der Eröffnung blieb sie unwidersprochen. Die künstlerische “Feldforschung”, die derzeit gerade auf Biennalen schwer in Mode ist, überbietet sich ja gerade darin, sich die objektiven Verfahren der Wissenschaft anzueignen.

Auf seiner Biennale sind es aber gerade die Momente des poetischen Szentismus, die so nachhaltig wirken, dass diese Behauptung schon fast wieder glaubhaft wird. In seiner Zweikanal-Video-und Klanginstallation vyLö:t von 2012 führt der deutsche Filmemacher Patrick Alan Banfield Bilder zweier extreme langsamer Kamerafahrten parallel. Links schaut man auf die Fronten brutalistischer Betonarchitektur der Nachkriegsmoderne mit ausgewaschener Ablaufrinne, rechts auf das Chaos organischer Formen im Wald eines hessischen Mittelgebirges. Mitunter scheinen sich die Formen jedoch derart anzunähern, dass die Frage, was Natur und was Kultur ist, zu verschwimmen beginnt.

Ein anderes Beispiel gibt der französische Künstler Mathieu Kleyebe Abonnenc. In seinem Projekt Sector IX B Prophylaxis of Sleeping Sickness von 2014 beispielsweise hat er im Pariser Musée du quai Branly Artefakte untersucht, die von 1931 bis 1933 bei einer Mission französischer Forscher in Dakar-Djibouti gesammelt worden waren. Fotos davon gruppiert er zu einem Ensemble, das eine ähnliche, aber verloren gegangene Sammlung wieder aufrufen soll, die sein Großvater, Emile Abonnenc, zur selben Zeit in Gabun unternahm. So fallen bei Abonnencs individuelle und soziale Erinnerungsarbeit zusammen.

Mit sanften Arbeiten wie dieser wird die 8. Berlin-Biennale zu einem großen Glücksfall. Juan Gaitáns Parcours verkörpert gewissermaßen das größtmögliche Gegenprinzip zur 7. Ausgabe seines unglücklichen Vorgängers Artur Zmijewski: subtil, poetisch aber dennoch politisch. “Kunst muss nicht wie politische Kunst aussehen, um politisch zu sein – oder anders gesagt: Ich halte die Idee für falsch, dass abstrakte Kunst apolitisch sei.” Mit diesem Statement hatte Gaitán in einem Interview zum Auftakt der Biennale für eine überfällige Klarstellung gesorgt.

So überzeugend, wie der unaufgeregte Weltbürger auf dieser 8. Berlin-Biennale diese, sich scheinbar ausschließenden, immer wieder für Streit und Kontroversen sorgenden Kategorien nun zu verbinden verstand, hat er nicht nur für das Berliner Event Maßstäbe gesetzt, hinter die zurückzufallen schwer werden dürfte.

Ingo Arend

weitere Informationen zum Foto Wolfgang Tillmans: 

Von links nach rechts: computer programmed denim distress, 2013 
Textil. Fespa Digital / Fruit Logistica / Airport Security /Silver / TV Static, (TSC), 2014. 2 Glas, Holz, Offsetdruck, Laserstrahldruck, Tintenstrahldruck 93 x 198 x 46 cm, 80 x 198 x 61 cm astro crusto, a, 2012 Tintenstrahldruck auf Papier, Klammern 242 x 161 cm Jacket Air to Ground Recognition – Red, 2014. Textil. LeBron X – Dolphins, 2014. Kunststoff, Papier, Textil. Installationsansicht. Courtesy Galerie Buchholz, Berlin/Cologne; Maureen Paley, London; David Zwirner, New York. Foto: Anders Sune Berg

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8. Berlin-Biennale

Noch bis zum 3. August

biennale8-680

Katalog, KW / Hatje-Cantz, 12 Euro

Website: berlinbiennale.de