Der Schriftsteller Dietmar Dath hat eine unlesbare Science Fiction über das Ende der Kunst geschrieben
Das Ende der Kunst. Zu Friedrich Hegels berühmtes Diktum greift immer gern, wer das Bewusstsein für irgendeinen Vorabend der Apokalypse schaffen will. Dabei hatte der Berliner Philosoph weiland nur sagen wollen, dass die Kunst für die Erkenntnis der Wahrheit nicht mehr das entscheidende Medium sei, sondern die Philosophie.
Anleihen bei dieser anspielungsreichen Metapher macht nun auch “Feldeváye”, der neue Roman des Schriftstellers Dietmar Dath. Denn schon im Untertitel nennt der 1970 geborene Schriftsteller, im Hauptberuf Kulturredakteur der FAZ, das 800 Seiten starke Werk: “Roman der letzten Künste”. Feldeváye ist ein Planet. Und dorthin flieht zu Beginn ein Männerpaar, um sich dort ein besseres Leben aufzubauen. Das Gestirn gibt den geographischen, vor allem aber auch den ideologischen Horizont für das Geschehen ab.
Wie schon Daths 2012 erschienener Roman “Pulsarnacht” ist auch “Feldeváye” eine Science Fiction. Die Handlung spielt in einer weit entfernten Zukunft. Das Universum ist eine einzige, mehrere Galaxien umspannende Menschheitszivilisation. In der die Kunst nicht mehr existiert. Bis eben auf dem Planeten “Feldeváye”. Dort lebt jene Bewegung der “Aistheten”, die sich vorgenommen hat, dieses untergegangene Artefakt wieder zu beleben. Und deshalb von den finsteren Machthabern gnadenlos verfolgt wird.
Bei letzteren handelt es sich um eine posthumane Kastengesellschaft, die aus den Storarieren, den Kriegern, aus den Lapithen, einer Art Gesellschaftsdesigner mit metallisch-grünem Fell, und aus den Prodisten, so etwas wie Spezialisten der Produktion, besteht. Ihre Antipodin ist Kathrin Ristau, Tochter eines Flammenjägers aus der Galaxis des Thomasstreifens.
Science-Fiction: An dem hierzulande immer noch nicht ganz Ernst genommenen Genre schätzt der bekennende Marxist Dath, dass es sich an – wie er sagt – “soziale Sollbruchstellen” herantraue. So befand er es kürzlich in der von dem Schriftsteller Maxim Biller vom Zaun gebrochenen Debatte über die deutsche Gegenwartsliteratur. Und wenn Dath eine Mission antreibt, dann die, ästhetisch und diskursiv auf Augenhöhe mit dem Stand der Technologie zu kommen – dem Gott-sei-bei-uns der Schönen Künste.
Deswegen ist die Zivilisation, die in “Feldeváye” geschildert wird, ein Universum der technischen Möglichkeiten. In dem die Menschen ihr Geschlecht wählen können. In dem sie junge Sterne in “unnatürliche Umlaufbahnen” schießen. Oder sich das Rückenmark von Amphibien einverleiben, um an deren telepathischen Fähigkeiten teilzuhaben. Man kann die Fülle von Daths Einfällen als Spitzenleistungen der Fantasie goutieren. Eher verläuft man sich darin wie in einer unaufgeräumten Erfinderwerkstatt. Wer sich in zeitgenössischen Diskursen wie der Reproduktionsmedizin oder der Nanotechnologie nicht auskennt, kann die überall versteckten Hinweise kaum entschlüsseln:
Luzi, mit absichtlicher Grabesstimme, ironisch priesterlich: “Die Künste, jedenfalls die meiste historische Zeit über, sind Übungen der Instantiierung der Wahrscheinlichkeitsnomoseinheit, die bestimmt, dass es eine Spezies gibt, die den Nomos in ihr informationelles und energetisches Evolutionsgeschehen zurückbiegt, als Beziehung zwischen Zwecken und Mitteln oder Subjekten und Objekten, unter Absehung vom tatsächlichen Energie- und Informationsaustausch mit der nichtmenschlichen Natur. Feldeváye ist ein Rechner, auf dem eine Nomoseinheit instantiiert wird, die einen Sachverhalt höherer Ordnung meint, der zwischen dem Geschenk der Mennesker insgesamt und uns, die wir es empfangen haben, besteht. Und den wir noch nicht kennen.” “Aha. Siehste, Passt doch alles”, sagte Conlon hochzufrieden.
Als ob er beweisen müsste, dass er die Sprache beherrscht, die weit in der für uns nicht mehr vorstellbaren Zukunft liegt, schwelgen Daths Erzähler und seine Helden meist in solchen Assoziations-Girlanden von reinster Opazität: Dunkel ist aller Rede Sinn.
Hinter Daths Vorliebe für die Science Fiction steht nicht nur das Bekenntnis zur Populärkultur. Für einen Gesellschaftsveränderer wie den Frankfurter Autor ist das, was Fachleute “Space Opera” nennen, auch die Genre gewordene Möglichkeitsform. Freilich hätte es schon gereicht, die ferne Zeit einfach nur zu schildern. Um den Effekt zu evozieren, sich eine andere Welt als die real existierende vorzustellen. Aber Feldeváye muss natürlich auch noch eine Metapher sein. Deswegen heisst es gleich zu Beginn:
“Feldeváye”, das ist wirklich nirgends. Das ist gar kein Ort, eigentlich. Feldeváye, das ist noch gar keine Welt. Daraus muss man erst eine machen. Genau das können wir tun. Zusammen.”
Wer den Wink mit dem utopischen Zaunpfahl nicht mitbekommen hat, dem wird noch unter die Nase gerieben, dass “Feldeváye” ein “völlig gerechtes Gestirn” ist. Auf dem man bemüht ist, dem “entfesselten Subjektivismus und Individualismus” eine solidarische Ordnung entgegen zu setzen, auf deren Geschäfte “die neuen Reichen keinen Einfluss haben”. Und in der die Kunst in die “Produktion des wirklichen Lebens” integriert werden soll. Da begibt man sich also einmal Zigmillionen Jahre in die Zukunft. Um dann zu erfahren: Ewig lockt das Bauhaus.
Sechs Jahre will Dath an seinem Opus Magnum gearbeitet haben. Eine bestürzende Nachricht. Denn die Mischung aus entrückter Techno-Fantasie und sozialistischer Bergpredigt macht aus “Feldeváye” am Ende einen unlesbaren Roman. Der auch nicht zu retten gewesen wäre, wenn sein Autor ihn um die Hälfte gekürzt hätte. Und spätestens wenn Dath seiner Heldin Kathrin eine Liebeszene mit ihrer Partnerin Maura unterschiebt, die an der expliziten Stelle in den Passus “Sie sagten einander die Liebe” mündet, kippt Daths zeitkritischer Realismus in’s interstellare Biedermeier. Und der wahnwitzigste Autor der deutschen Gegenwartsliteratur ist gleichsam am Ende seiner Kunst.
Ingo Arend, WDR3 Gutenbergs Welt. 06.04.2014
Dietmar Dath:
Feldevaye – Roman der letzten Künste
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