Abschied von der Königsdisziplin. Der Kunsthistoriker Robert Fleck gibt der Malerei eine Zukunft.

„À partir d’aujourd’hui la peinture est morte”. Als der französische Maler Paul Delaroche 1839 die erste Dauerrotypie erblickte, war ihm klar: Das ist das Ende. Von da an begleitet die Königsdisziplin der Künste das Wiegenlied vom Tod. Mit dem Aufkommen der Fotografie galt die Malerei als anachronistisch und letzter Hort eines überlebten Künstlerbildes. 1920 wurde sie auf einer Dada-Messe symbolisch zu Grabe getragen. 1966 empfahl Jörg Immendorff: “Hört auf zu malen!” 1997 verbannte sie Catherine David von der Documenta X. Seitdem regiert die Konzeptkunst.

Bei dieser Verachtung war immer viel Ideologie im Spiel. Doch mit den alten Vorbehalten gegen die Malerei hält sich Robert Fleck in seinem neuen Buch nicht lange auf. Für den österreichischen Kunsthistoriker hat die verrufene Gattung schon deshalb eine Zukunft, weil so viele Maler immer noch malen. Und er kann illustre Namen ins Feld führen, um seine These zu belegen: Den Schotten Peter Doig, die britische Künstlerin Cecily Brown oder den deutschen Altmeister Georg Baselitz. Sie sind weder Randfiguren der Szene noch die latecomer irgendeines Neo-Neoexpressionismus, sondern Topseller des Marktes. Und erlebten in den letzten 10 Jahren viel beachtete Retrospektiven.

Mit der puren Evidenz gibt sich Fleck, Jahrgang 1957, natürlich nicht zufrieden. Schließlich hat er bei Gilles Deleuze und Michel Foucault studiert. Und seine poststrukturalistisch angehauchte These von der „posthegemonialen Situation“ der Malerei ist analytisch ergiebiger als die naive Emphase, mit der Malerei-Apologeten sonst von ihrem Genre schwärmen. Das nunmehr „minderheitliche Medium“, so Fleck, genieße seine neue „Narrenfreiheit“. Und müsse niemandem mehr beweisen, dass es an der Spitze der Avantgarde marschiert.

Fleck sieht die Malerei der jüngsten Gegenwart als “Labor für neue Raumbegriffe”. Und in der Tat lässt sich in den Farbschlieren der transparenten Aquarelle, die sein Kronzeuge, der bislang derbe-pastos zu Werk gehende Georg Baselitz, pünktlich zum Beginn des neuen Jahrtausends in seiner “Remix”-Serie zu malen begann, eine Art „floatender Bildraum“ und die „Tiefe durch Farbintensität“ erkennen – für Fleck der Vorschein des Neuen.

Flecks “Raumbeobachtung” ist interessant. Obwohl sie vielleicht eher für eine Künstlerin wie Katharina Grosse zutrifft. Mit ihren riesigen, konvex und konkav gebogenen, farbig bemalten Ellipsen öffnet sie den Bildträger in den dreidimensionalen Raum. Diese “Skulpto-Malerei” (Alexander Archipenko) ist aber auch nicht ganz neu. Denken wir an Frank Stellas Reliefs oder Gotthard Graubners  “Kissenbilder”. Jedenfalls lässt sich festhalten: Offenbar versucht die gute alte Malerei den digitalen Zauberkünstlern etwas entgegen zu setzen, die die virtuellen Räume bekanntlich nur so aus dem PC schütteln.

Als Ausstellungsmacher manövrierte sich Fleck, von 2009-2012 Chef der Bundeskunsthalle, ins Aus, weil er sein Haus allzu bereitwillig Händlern und Sammlern öffnete. Als Kritiker wirkt der Mann, der heute an der Kunstakademie Düsseldorf “Kunst und Öffentlichkeit” überzeugender. Ähnlich flüssig geschrieben wie seine Geschichte der Biennale von Venedig (2009) ist seine Aufsatzsammlung eine brauchbare Einführung in die Geschichte der Moderne und der Abstraktion. Die nur an einer fixen Idee krankt.

Seitdem der französische Philosoph Michel Onfray ihm in einem Telefonat den Floh ins Ohr gesetzt hat, in der Kunstwelt finde ein „Match“ darum statt, wer der erste „Künstler des 21. Jahrhunderts“ werde, will Fleck in seinem „neuen Bildraum“ gleich das Signal zu einer Zeitenwende sehen. Doch ohne den Vergleich mit den anderen Künsten steht seine steile These von der „Ablösung des 20. Jahrhunderts“ auf wackligen Füßen. Und immer dann, wenn er das neue Raumparadigma der Malerei zu einem der Kunst generell erklärt, wird sein lesenswertes Buch unscharf.

Fleck ist kein Nostalgiker. Längst sieht auch er die Fotografie als das Leitmedium der Künste. Umso verwirrender, dass er die Malerei zur Königsmacherin der Kunst der Zukunft stilisiert. So liest sich sein Essay mitunter wie der Versuch, dem Kunstmarkt intellektuelle Schützenhilfe zu geben. „about painting“ übertitelte die Berliner abc-Kunstmesse 2011 ihr alljährliches Herbstmanöver in Sachen Kunststandort Berlin. In diesem Jahr ist die Art Week auf „Painting forever“ verfallen. Spötter übersetzen das merkantile Loblied auf die unsterbliche Malerei gern prosaisch: Flachware geht immer.

Ingo Arend

Fleck

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Robert Fleck: Die Ablösung vom 20. Jahrhundert – Malerei der Gegenwart

Passagen-Verlag, Wien 2013
110 Seiten, 13,90 Euro

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