Für mehr als Sex
Der Berliner Literaturwissenschaftler Peter Menninghaus hat sich auf den Pfad von Charles Darwin begeben. Am Ende seines brillanten Buches bleibt Kunst dann aber doch Kultur.
Macht es einen Unterschied, ob der Pfau ein Rad schlägt oder der Neandertaler seinen Körper bunt bemalt? Im Prinzip nein. Beide benutzen Signalsprachen der sexuellen Werbung. Doch warum erschloss sich der Homo Sapiens im Laufe der Zeit damit mehr als den bloßen Reproduktionserfolg? Während der arme Fasanenvogel noch heute bewusstlos sein Rad schlägt?
Winfried Menninghaus vor acht Jahren veröffentlichtes Werk „Das Versprechen der Schönheit“ genießt Kultstatus. In dem 2003 erschienenen Werk argumentierte der Berliner Literaturwissenschaftler noch explizit gegen Charles Darwins Idee von der Schönheit als bloßem Abfallprodukt der Evolution. In seinem neuen Werk „Wozu Kunst“ folgt er dem britischen Naturforscher ein Stück weit auf dem Pfad der „evolutionären Ästhetik“. Warum?
Ästhetische Anstrengung sichert die Partnerwahl: Menninghaus akzeptiert Darwins „Vogelmodell“ der Künste als Ausgangsbasis für die Frage nach dem „Wozu“ der Kunst. Nur mit dem „singing for sex“ sei es aber selbst für Darwin nicht erklärbar gewesen, weist Menninghaus mit seinem close-reading des Klassikers nach, warum manche Vögel bis zu 2000 Lieder beherrschten. Und das „survival of the fittest“ befördert der Pfau mit seinem schicken Federnrad auch nicht gerade.
Man sieht schon. Es geht Menninghaus also in erster Linie darum, diejenigen Argumente und Theorielinien aus Darwins Werk zu „retten“, die für die heutige Theoriebildung immer noch interessant sein können. Vor allem beim Menschen hakt für Menninghaus aber Darwins Theorie. Wenn Kunst in erster Linie der sexuellen Werbung diene, warum erreichten dann Maler oder Bildhauer oft erst im hohen Alter die Blüte ihrer Kunst?
Erst mit der Sprache und der Fähigkeit des Menschen, in Symbolen zu kommunizieren, so konstatiert Menninghaus am Schluss seiner produktiven Auseinandersetzung mit den Thesen des Übervaters der Evolutionsbiologie, konnten sich die archaischen Reflexe der Selbstornamentierung oder der Schmuckherstellung zu den zweckfreien Künsten von heute ausdifferenzieren.
Die Spur des Sexus sei in Bildender Kunst, Literatur und Musik zwar gelegentlich noch zu spüren. Doch die „ästhetische Lust“ erfülle sich heute in der „Selbstbildung“ des Menschen und nicht in der Fortpflanzung. So wie sie den Spieltrieb weckten, wirkten die Künste auch als „Agenten der sozialen Kooperation“.
Spätestens mit solch brillanten Definitionen – und schon ihretwegen lohnt die Lektüre des Buches – ist Menninghaus wieder bei seiner alten These von Kunst als Kulturleistung. Der er gar eine zivilisierende Wirkung zuspricht. Selbst Kulturpessimisten werden kaum widersprechen können, wenn er definiert: „Kunstwerke eröffnen einen eigenen Raum tendenziell gemeinschaftsstiftender Partizipationen“? Noch ist von einem Diskurs der Pfaue über die Ikonologie ihrer malerischen Schwanzfedern nun wirklich nichts bekannt.
Text für Getidan: Ingo Arend
Winfried Menninghaus: Wozu Kunst? Ästhetik nach Darwin.
Suhrkamp, Berlin 2011,
320 S., 24, 90 EUR
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