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Sind wir Film und Fernsehen hilflos ausgeliefert? Diese grundstürzende Frage ließe sich am Werk des Berliner Videokünstlers Bjørn Melhus aufwerfen. Denn die Personen, die in seinen Arbeiten agieren, wirken immer wie die Insassen von Platons Höhlenwelt: Gefangene einer Innenwelt, gefangen in der Schattenwelt, die man hierzulande die Massenmedien nennt.
Etwa so wie in “I’m not the enemy”: In dem Video von zwölfeinhalb Minuten aus dem Jahr 2011 spielt der Künstler einen bärtigen Kriegsheimkehrer, der lethargisch auf dem Sofa seines Elternhauses liegt. Die klavierspielende Mutter schaut ihn seltsam streng an. Der Bruder verhält sich abweisend und kalt. Aus dem Keller des Unterbewussten steigt ein schwerbewaffneter Kriegskamerad hervor. Doch die Sätze, die Melhus dieser unheimlichen Familie in den Mund legt, stammen aus US-Spielfilmen, in denen es um posttraumatische Belastungsstörungen geht. Was hier Unterhaltung, was hier Traum, Trauma oder Information ist, lässt sich auf den ersten Blick kaum noch unterscheiden.
„Live Action Hero“, der Titel der Ausstellung mit 16 Videoinstallationen des 1966 in der Nähe von Stuttgart geborenen Norwegers, mit der jetzt das kleine Haus am Waldsee wieder einmal seinen Ruf bekräftigt, die heimliche Kunsthalle Berlins zu sein, klingt wie ein Tribut an die drei Glaubensartikel unseres Medienalltags. Doch auf genau diese Fusion von Unmittelbarkeit, Gewalt und Stilisierung, die unseren Imaginationshaushalt von Kindesbeinen auf in Bann schlägt, hat es Melhus abgesehen. Von daher ist mehr als eitle Selbstbespiegelung, wenn der Künstler in seinen Filmen immer selbst auftritt.
Was man bei einer Arbeit wie „Das Zauberglas“ denken könnte. In dem frühen Kunstvideo aus dem Jahr 1991, beobachtet man auf einem Bildschirm, wie sich ein Mann und eine Frau, die beide Melhus spielt, via Monitor unterhalten. Die Arbeit ist ein erotisches Verwirrspiel mit Geschlechteridentität und dem Motiv des Doppelgängers. Vor lauter Selbstverliebtheit sind die beiden aber zu keinem wirklichen Dialog fähig. Sondern wiederholen ständig die gleichen Sätze, die aus der deutschen Synchronfassung des amerikanischen Westerns Der gebrochene Pfeil von 1959 stammen. Bei Melhus ist der Künstler eben nicht der Held, der den gordischen Knoten des medial-virtuellen Komplexes mit einem Hieb durchschlägt. Bei ihm ist er immer auch Opfer dieser Verhältnisse.
Trotzdem stammen seine Arbeiten nicht aus der Vorabendserie „Kulturpessimismus, die Medien. Folge 517“ – so raffiniert, ja lustig, wie sie gemacht sind. 1989 steckte Wolf Vostell noch einen Fernseher in einen Zementblock und nannte die Skulptur „Depression Endogène“. Wenn Melhus die Tonspuren aus den Bewusstseinskolonien seinen Filmen unterlegt und ihre Szenen neu zu einem absurden Tableau collagiert, schlägt er die Medien mit ihren eigenen Mitteln. Der waffenstarrende Universal Soldier, der in dem vierminütigen Loop Hecho en Mexico von 2009 durch eine urwüchsige Waldlandschaft reitet, zerlegt seine Vorbilder zur ideologischen Kenntlichkeit: Motive aus dem Hollywood-Kino oder Rekrutierungsvideos im Internet.
Eine Arbeit wie „Deadly Storms“ von 2008, in dem Melhus‘ Glatzkopf auf drei Videokanälen so zuckt wie der von Bruce Nauman’s legendärem „Anthro-Socio“, soll natürlich zeigen, wie wir Pawlow’schen Hunde in dem Reiz-Reaktions-Mechanismus der Newschannel gefangen sind. Außer den üblichen Nachrichten-Versatzstücken wie „There’s an ongoing situation“ erfährt man eigentlich nichts von dem Geschehen oder der Bedrohung, die sich im Titel so mysteriös ankündigen. Am Ende ertönt die Aufforderung: „Get away from the scene“. Das ist gewiss auch pädagogisch gedacht. Wirkt aber trotzdem wie eine Parodie der Nachrichtenästhetik.
Mitunter gewinnen Melhus‘ Filme metaphorische Kraft. In seiner neusten Arbeit agiert Melhus darin als der zottelige Bärenhäuter aus dem gleichnamigen Märchen der Gebrüder Grimm, einem frühen Vorläufer des Kriegsheimkehrers heutiger Tage. Dem half nur ein Pakt mit dem Teufel bei der Resozialisierung. So wie er hier das kulturelle Erbe via Masenmedien recycelt, zeigt Melhus, dass er neben der „kritischen Wahrnehmung medialer Massenkultur“, auch die „möglichen künstlerischen Reaktionen“ darauf beherrscht, wie es auf der Website seiner Professur für „Virtuelle Realitäten“ an der Kunsthochschule Kassel programmatisch heißt. Denn die über die Wand hinaus reichende Projektion mit dem einen einzigen Satz stammelnden Bärenhäuter Melhus, weitet sich zu einem Sinnbild für das Ungeheuerliche des Krieges und seiner Folgen. Vielleicht sollte Angela Merkel mal in’s Haus am Waldsee reisen statt an den Hindukusch und sich: „I do not belong in this house“ ansehen.
Text: Ingo Arend Text erschienen in taz, 16.02.2011
Ausstellung
Bjørn Melhus: Live Action Hero
bis 10. April 2011, Haus am Waldsee, Argentinische Allee 30, 14163 Berlin
Di.-So., 11-18 Uhr
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