Große Werkschau des amerikanischen Künstler Bruce Nauman erstmals in Berlin
„Wenn du ein Maler bist und alle Pinsel wegwirfst, inwiefern bist du dann ein Künstler?“
Irgendwann in den Sechzigern überfiel Bruce Nauman eine Sinnkrise. Der 1941 in Indiana geborene Sohn eines Ingenieurs hatte Kunst und Physik studiert und mit Malerei begonnen. Doch irgendwie befriedigte ihn das nicht. Nauman wusste nicht, was das eigentlich heißen sollte – Künstler sein. Er verfiel in Depressionen, begann im Atelier herumzulaufen, mit den Füßen auf den Boden zu stampfen oder Bälle gegen die Wand zu schlagen. Später filmte er sich dabei. Die eigene Ratlosigkeit zur Performance machen: eine Legende war geboren.
Ob man die oft kolportierte Geschichte glaubt oder ob unter dem Stichwort Künstlermythos abhakt. In Berlins Hamburger Bahnhof lässt sich jetzt noch einmal nachverfolgen, wie weit man mit so einer trotzig-naiven Selbstbefragung kommen kann. Nicht umsonst stellen Eugen Blume und Beate Knapstein Naumans Corridors aus den siebziger Jahren in den Mittelpunkt einer von ihnen kuratierten Werkschau des Amerikaners. Denn diese Installationen sind die logische Folge einer Revolte, die im Atelier begann. Nauman und Künstlerkollegen wie Vito Acconci, Dan Graham oder Robert Morris wollten weg von der Kunst als Objekt und den Zuschauer selbst zum Performer machen. So Hand zahm wie beim Mitmach-Theater sollte es allerdings nicht zugehen. Nauman wünschte sich, wie er es in Interviews seit Jahren wiederholt, eine Kunst „wie ein Schlag ins Genick“.
Die Corridors sind, wenn man so will, „historische Positionen“. Doch nach vierzig Jahren haben sie nichts von ihrer verstörenden Intensität eingebüßt. Wie Musterbauten von Umberto Ecos „Offenem Kunstwerk“ laden diese Erfahrungsarchitekturen zum Betreten und Entdecken ein. Drinnen gerät man aber unversehens in eine Zwangslage. Ob den Angst, Beklemmung und ein Gefühl von Überwachung befallen, der sich durch den immer schmaler werdenden Gang des Helman Gallery Parallelogram von 1971 zwängt, um dann in einem kleinen Seitenraum von grellgrünem Neonlicht geblendet zu werden. Oder ob man in der Nick Wilder Installation aus dem gleichen Jahr den eigenen Sinnen nicht mehr traut, weil die Monitore, die in den drei nebeneinander liegenden Gängen postiert sind, nicht die Bilder übertragen, die man eigentlich erwarten würde und die Perspektiven vertauschen.
Natürlich gibt es auch den politischen Nauman zu sehen. Der nach der Lektüre der Reiseberichte V.S. Naipauls aus Argentinien und dem Kongo Mitte der achtziger Jahre seine Enttäuschung über die Conditio Humana zu Protokoll gibt. In Installationen wie dem Musical Chair 1983 findet er eine Metapher für Folter und Aggression. Und knüpft mit dem rohen Metallstuhl auf zwei gekreuzten Eisenträgern an Andy Warhols elektrischen Stuhl oder Robert Morris‘ Verhör-Stuhl an. Es gibt den Nauman zu sehen, der gesellschaftliche Aufklärung mit den Mitteln des Pop betreibt: In Neon-Arbeiten wie American Violence von 1981/82, Raw War von 1970 oder den Five Marching Men mit ihren fluoreszierenden Phalli von 1985 beleuchtet er den Zusammenhang von Sex, Gewalt und Krieg. Und der dann doch wieder bei dem einzelnen Menschen landet.
Naumans Arbeiten sind so nüchtern, wie es Konzeptkunst sein muss, die das Illusionistische ablehnt. Sie sind nicht im Vorübergehen zu konsumieren. Und – bis auf manche Neonarbeiten – nicht besonders marktkompatibel. Das macht sie gesellschaftskritischen Ansätzen von heute vergleichbar. Doch anders als die dokumentarisch inspirierte Feldforschung der letzten 15 Jahre, die Kunst als eine Art Kultursoziologie unter Einmischung ästhetischer Mittel versteht, ließe sich Naumans Kunst als (Selbst-)Erfahrungswissenschaft definieren. „Kunst befreit uns von garnichts“, hat er einmal gesagt, „vielleicht hilft sie manch einem, sich selbst besser wahrzunehmen“. Wer bei Naumann nach Gesellschaftsveränderung fragt, erfährt in seinen Corridors am eigenen Leib, dass das (historische) Subjekt zu allererst einen Körper hat. Bemerkt aber gleichzeitig irritiert, dass die kafkaesken Labyrinthe, in denen Nauman ihn inszeniert, in den Fun-Containern der Kulturindustrie ihre späten Nachfolger gefunden haben.
In Dream Passage, einem 1984 entstandenen Werk, hat Nauman seine Grundfrage nach dem Subjekt ungewohnt theatralisch zugespitzt. Die Arbeit, die der Ausstellung den Titel gibt, fünftes Teil einer Werkserie, wurde bei Leo Castelli in New York zum ersten Mal ausgestellt, seitdem nie mehr gezeigt und gehört nun dem Hamburger Bahnhof. Dass die Schenkung dieses bedeutenden Werkes eines bedeutenden Altmeisters durch einen umstrittenen Sammler wie Friedrich Christian Flick gleich mit einer Werkschau gefeiert wird, mag man als Indiz für die Machtverhältnisse in einem Haus werten, dass der Gegenwart, die es im Namen führt, mit Reserve begegnet. Nichtsdestotrotz ist der Platz, den Dream Passage dort nun einnehmen wird, gut gewählt. Im letzten, unverputzten Raum der Rieck-Hallen, steht die ausnahmsweise schwarze Installation, gut vier Meter lang und breit: zwei sich kreuzende Tunnel, nicht so eng wie die Korridore sonst. An der Stelle, wo sich die Tunnel kreuzen, fällt ein dritter vertikal in die Tiefe. Im Kreuzungspunkt steht der Betrachter auf nichts als einem stählernen Rost.
Nauman hat auf jede Subjektivierung des Raums verzichtet, wie er sie etwa in der Raum-Ton-Installation Get out of my mind, get out of this room von 1968 erprobte. Weder die Stimme des Künstlers ist zu hören, durch den schalldämmenden Belag kaum noch die des Betrachters. In dem fahlgelben Licht der Grubenlampen ist auch nicht viel zu sehen. Zwei Ausgänge aus den Gängen sind vermauert: Eine paradigmatische Dead-End-Situation. Der beziehungsreiche Titel Room with my Soul left out, room that does not care“ macht die Arbeit zur existentialistischen Metapher. Die ihre Kreuzform wieder zu verhöhnen scheint. Doch keine Seele tröstet den Pilger, den es hierher verschlagen hat. Dieser Raum „schert“ sich nicht um ihn. Traumpassagen sehen anders aus.
Dream Passage ist ein düsteres Setting, ein Tunnel der Alpträume. In dem Naumans pessimistisches Diktum: „Kein Anfang, kein Ende, kein Fortschritt“, mit dem er einmal sein Geschichtsbild charakterisiert hat, vollkommen verständlich wird. Ob die Absage an jede Metaphysik, die hier formuliert wird, als bedrückend empfunden wird oder als Befreiung von ihren Versprechen, muss jeder Betrachter selbst entscheiden. Mit den Mitteln der Kunst auch der Kunstreligion eine Absage zu erteilen – zumindest dafür hat es sich dann aber doch gelohnt, Künstler zu werden.
Autor: Ingo Arend
Bruce Nauman. Dream Passage
Austellung im Hamburger Bahnhof – Museum für Gegenwart – bis 10. Oktober 2010
Zur Ausstellung erscheint ein Bruce-Nauman-Lesebuch
mit Schlüsselbegriffen zu seinem Werk und Texten des Künstlers
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