Cool und draußen
K. Sello Duiker erzählt von desorientierten Jungerwachsenen, der Schattenwelt des urbanen Südafrika und sexueller Gewalt. Eine Entdeckung
Sie lieben Musik, sie gehen viel aus, sie kiffen zu viel. Tshepo und seine beste Freundin Mmabatho tun das, was aufgeweckte Studierende eben so tun: Sie versuchen, sich von ihren Elternhäusern zu emanzipieren, ohne bereits eine klare Vorstellung von sich selbst vor Augen zu haben. Ihr Leben ist eine große Suchbewegung, eine riskante Passage, gegen deren Zumutungen mit Humor angetrotzt wird.
Doch während Mmabatho einigermaßen gut mit sich selbst auskommt, wurde dem Journalistikstudenten Tshepo gerade eine „Cannabis-induzierte Psychose“ attestiert. Eine Diagnose, die den 23-Jährigen ärgert: „Warum dem Dope die Schuld zuschieben?“ Er selbst kommt bei der Beschreibung seiner wechselnden Zustände zunächst ohne Bezug auf ein Außen aus: „Ich hatte Anfälle. Verlor das Zeitgefühl. Es ist einfach so passiert. Echt. Es war so, als hätte ich jemanden umgebracht und wäre dann vor mir selbst davongelaufen. Und seitdem bin ich auf der Flucht.“
Die Sprache von K. Sello Duikers Romans „Die stille Gewalt der Träume“ ist einfach, direkt, gelegentlich ungeschliffen. Die Tonlage erinnert an große Romane der Popliteratur, etwa an „Keiner weiß mehr“ von Rolf-Dieter Brinkmann oder auch an die fünfbändige „Geschichte der Gegenwart“ von Rainald Goetz. Wie Brinkmann und Goetz geht es auch Duiker darum, mit der Gegenwart in Augenhöhe zu kommunizieren, das heißt ohne die Sicherheit des historischen Abstandes. Entsprechend reihen sich bei ihm präzise Beobachtungen übergangslos an noch rohe Überlegungen und triviale Alltagsphilosophierereien. Diese Mixtur spiegelt scheinbar ungefiltert den Geisteszustand seiner jungen Protagonisten wider. Und auch der 1974 in dem wohl berühmtesten Township – Soweto – geborene Autor ist zum Zeitpunkt der Romanveröffentlichung erst 28 Jahre alt. Nun ist das Buch ins Deutsche übersetzt, es ist eine Entdeckung.
Radikal setzt Duiker auf Subjektivität, die gesamte Handlung entwickelt er aus Dialogen und stummen Selbstgesprächen. Entsprechend wird der 500-seitige Roman auch von keinem souveränen Erzähler zusammengehalten, niemand schwebt hier über den Dingen, es gibt noch nicht einmal einen Ich-Erzähler. Stattdessen lesen wir viele Situationen mehrmals, immer wieder wird zurückgespult, um die Begebenheit aus Sicht des anderen zu beschreiben. Konsequent schneidet Duiker das Erleben des einen Protagonisten gegen die Interpretation des anderen. So entsteht ein Geflecht aus unterschiedlichen und auch gegenläufigen Perspektiven, aus inneren Monologen, Streitereien und Geständnissen. Mit Ausnahme der Vergewaltiger – dazu kommen wir noch – wird nie jemand verurteilt. Duiker ist ein sehr behutsamer Erzähler. Ambivalenz ist sein Lebenselixier, und so sind fast alle seine Figuren cool, ohnmächtig, fragil, abstoßend und liebenswert zugleich.
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Gesellschaftskritik ist gar nicht der Punkt. Diesen Roman treibt die Frage um,
wie Freunde miteinander umgehen, wenn einer von ihnen abdriftet
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Doch der Roman erzählt nicht nur von desorientierten Jungerwachsenen auf dem Weg zum Waffenstillstand mit sich selbst. Neben den Selbstbefragungen und Liebesgeschichten der Protagonisten unternimmt er eine Reise durch die Schattenwelten des urbanen Südafrika der Postapartheid. Nüchtern porträtiert er die Lebensbedingungen in der geschlossenen Psychiatrie. In die erste wird Tshepo gleich zu Anfang eingewiesen. Zur Einsicht in die eigene Unzuverlässigkeit und Verletzbarkeit gesellt sich jetzt die Angst, nie mehr herauszukommen aus dieser grauenhaften Anstalt.
Tshepo wird, wie alle anderen Patienten, als Krimineller behandelt, bei Ungehorsam durch Einzelhaft gefügig gemacht und gnadenlos mit Beruhigungsmitteln ruhiggestellt. Noch nie zuvor hat er so viele Läuse gesehen – dabei ist Tshepo immerhin in einer der Townships rund um Johannesburg aufgewachsen. Sein Vater war wirklich ein Krimineller. Ein Mafioso, der Wert darauf legte, dass sein Sohn eine Privatschule besucht. Und jetzt steckt dieser Sohn in einer schmutzstarrenden Krankenhausuniform und begreift, dass die Regenbogennation nicht gewillt ist, Waschpulver für Verrückte aufzuwenden.
Duiker geht es nicht um Gesellschaftskritik im landläufigen Sinn. Politik interessiert ihn nicht. Den Roman treibt vielmehr die Frage um, wie Freunde miteinander umgehen, wenn einer von ihnen abdriftet. Was tun sie, wenn einer aus dem Partyuniversum aussteigt und hilfebedürftig wird? Wenn der Imperativ verletzt wird, der da lautet: „Tragt eine Swatch…, damit die Leute sagen, wow, bist du cool, und nicht, wow, bist du schwarz oder weiß. Du solltest auf Schlagzeug stehen, den Schuldenerlass für die Dritte Welt unterstützen und dein Horoskop kennen. Du musst die Universalität von CK One anstreben … bis Musik das Einzige ist, was zählt, und Tanzen das Einzige, was dich von anderen unterscheidet. Das sind die Sachen, die die Clubkultur in Kapstadt bestimmen, nicht die Rassenpolitik.“
Auch hier fällt Duikers Bilanz brutal aus. Wer aufhört, feiertauglich zu sein, wer aus dem Rahmen fällt und zur Belastung wird, verliert den Anschluss, der wird im übertragenen Sinne zu schwarz. Natürlich sind Egozentrik und Konsumlogik als gesellschaftlicher Klebstoff keine südafrikanische Besonderheit, aber die ständige Gefahr, in die Armut abzurutschen, verschärft ihre Folgen. So viele Gemeinsamkeiten das Leben der Studierenden in Kapstadt und Berlin haben mag – wie wohl überall in der Welt steht auch hier der ungemachte Abwasch im Mittelpunkt des WG-Lebens -, das fehlende soziale Netz und die Tatsache, dass auch im Studentenmilieu viele bereits harte Gewalterfahrungen gemacht haben, lässt die Protagonisten intoleranter gegenüber Zusatzbelastungen werden. Und so rutschen sich auch Tshepo und Mmabatho gegenseitig durch die Finger.
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Er spricht mit keinem über die Vergewaltigung, aber beobachtet sich jetzt selbst.
Nicht Abstumpfung, sondern erhöhte Sensibilität ist die Konsequenz
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Tshepo braucht also eine neue Bezugsgruppe und findet sie im nächsten Paralleluniversum. Er, der abgebrochene Journalistikstudent und Psycho, er, der sich endlich von seinem Vater unabhängig machen will, nimmt einen Job als Sexarbeiter an. Immerhin hat er trotz Magerkeit eine Schwimmerfigur und sieht in guten Klamotten auch gut aus. Dieser Umstand verschafft ihm einen Marktwert – und dieser eine Existenzberechtigung. Aus Tshepo wird Angelo. Das Problem ist nur, dass er sich seiner Sexualität ungewiss ist. Ist er wirklich schwul?
Was sich nach dem Abgleiten in die Katastrophe anhört, entpuppt sich als fragiler Heilungsprozess. Der Kontakt mit den anderen Sexarbeitern – alles Männer, die nur in der Subkultur einen Status haben und ansonsten geächtet werden -, die vielen Gespräche über männliche Sexualität zwischen Homo- und Heterosexualität, die rückhaltlose Feier von gewaltloser Männlichkeit, das alles gibt Tshepo die Möglichkeit, zur Ruhe zu kommen. Das ist existenziell. Denn Tshepo, der „ewige Albatros, der Außenseiter, der immer draußen im Regen steht und dem Leben drinnen zuschaut“, wie er sich selbst beschreibt (nur um umgehend anzumerken, dass er natürlich seine Einsamkeit romantisiere), Tshepo jedenfalls wurde zweimal vergewaltigt. Das erste Mal als Kind, das zweite Mal packte sein WG-Partner zu. Damit wären wir beim nächsten großen Thema dieses wilden Romans: sexuelle Gewalt unter Männern.
Es gibt nicht viele Beschreibungen vom Erleben sexueller Gewalt aus männlicher Perspektive. Duiker durchbricht auch dieses Tabu, und zwar ohne jede Sensationsgeilheit. Leise beschreibt er die totale Ohnmachtserfahrung und den sehr pragmatischen Umgang, den Tshepo in seiner Not daraufhin wählt. Zunächst hört er auf zu essen, denn sein Anus ist gerissen. Einen Toilettengang würde er nicht überstehen. Nach knapp einer Woche kann er mit dem Hungern aufhören. Er spricht mit niemandem über seine Vergewaltigung, sondern beginnt intuitiv, sich selbst aufmerksam zu beobachten.
Nicht Abstumpfung, sondern erhöhte Sensibilität ist die ganz individuelle Konsequenz, die Tshepo aus dem zugefügten Schmerz zieht. Wann empfinde ich Lust? Wie ein Briefmarkensammler sammelt er alle kleinen positiven körperlichen Erfahrungen, sie werden zu seinem Leitfaden. So bildet sich der zutiefst verwundete Mann behutsam eine Sexualität heran, die tatsächlich selbstbestimmt ist. Dabei hilft entscheidend ein ungeschriebenes Gesetz, das zumindest in seinem Club nie angetastet wird: Kein Kunde darf Penetration verlangen, sie ist nicht käuflich, sondern kann als freiwillige Zusatzleistung immer nur geschenkt werden.
Aber auch die Ruhephase in der zärtlich-pragmatischen Welt des entmoralisierten Sexkonsums ist zeitlich begrenzt. Aids ist eine Gefahr und das Nachtleben ohnehin auf Dauer gesundheitsschädigend. Tshepo macht sich auf, Kapstadt zu verlassen. Es ist Zeit für einen Neuanfang.
Duikers erster Roman „Thirteen Cents“ erhielt 2001 den Commonwealth Writers Prize in der Kategorie „Bestes Debüt – Afrika“. Nur ein Jahr später veröffentlichte er seinen zweiten Roman, und auch „The Quiet Violence Of Dreams“ wurde ausgezeichnet. Im Januar 2005 nahm sich K. Sello Duiker das Leben.
Text: Ines Kappert
K. Sello Duiker: „Die stille Gewalt der Träume“
Aus dem Englischen von Judith Reker
Das Wunderhorn, Heidelberg 2010, 527 S., 26,80 Euro
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