Der Mann, der in sich hinein lacht
Der Schauspieler Christoph Waltz erhält seine erste Biographie
Christoph Waltz ist bestimmt ein guter Schauspieler und einer, der sehr eigenwillig eher randständigen Charakteren Ausdruck zu verleihen versteht. Menschen, die eigentlich zu intelligent sind für den Ort an den sie gestellt werden oder sich selber stellen. Und die deshalb immer ein wenig neben sich stehen, lachen über die Dummheit der Welt und über sich selbst. Und leidend daran. Wenn man’s recht bedenkt, ist Christoph Waltz, neben dem verlorenen jungen Mann, den er des Öfteren im deutschen Fernsehen gab (in dem Land, wo man wie in keinem anderen Angst haben muss vor Menschen, die intelligenter sind als ihr sozialer Ort), ein später Charakter aus K.u.K.anien. Als hätten sich Joseph Roth und Karl Kraus gemeinsam eine Figur ausgedacht. Dort war’s normal, klüger zu sein als das, was eine soziale Stellung vorschrieb und erlaubte. Und das hat zwei Folgen in einer Menschenseele, die Neurose und die Melancholie. Und für beides ist Christoph Waltz der perfekte Darsteller.
Der Aufstieg zum Weltstar indes kam für Christoph Waltz, der immer ein wenig wirkt, als wäre er nur aus Versehen Schauspieler geworden, oder weil es sonst nicht viel zu tun gab in der Welt für einen wie ihn, so spät, dass es schon wieder selber eine Geschichte ist. Und diese Geschichte erzählt nun die erste Biographie, eine fleißige, vielleicht ein wenig gar zu brave Material- und Faktensammlung, die sich jeder tieferen Analyse und jeder inneren Verknüpfung von Leben und Werk enthält. Was möglicherweise durchaus schade ist.
„Die späte Karriere des Schauspielers Christoph Waltz ist eine der ungewöhnlichsten Erfolgsgeschichten unserer Zeit. Seit den Achtzigern stand der Mann aus Wien immer wieder vor dem großen Durchbruch, musste sich dann aber doch erneut mit Nebenrollen über Wasser halten.“ Dieser Satz aus dem Vorwort stimmt auch die geneigten Leserinnen und Leser etwas vorsichtig. Und in der Tat: Die Karriere des Schauspielers Christoph Waltz ist eine vergleichsweise zähe Angelegenheit; an vielen Orten dieses Buches leidet man mit einem, für den es einfach nicht recht nach oben, für den es aber auch nicht dramatisch nach unten geht. Das Mitfühlen mit einer solchen Situation, die, vermutlich, etwa 75,9 Prozent aller Menschen nur allzu gut kennen, paart sich, was die literarische Wiedergabe anbelangt, mit einem Gefühl, das wir im richtigen Leben als „Langeweile“ beschreiben. Denn um „Nichts besonderes“ auf sehr besondere Weise zu beschreiben bedarf es mehr als guten Handwerks. Es bedarf der Phantasie.
Wenn man die Filmographie des Christoph Waltz für das Kino und für das Fernsehen studiert, kann man erst einmal überrascht sein, wie schnell und nachhaltig unser audiovisuelles Kulturgedächtnis vergisst. Das wäre eine Reise durch Fernsehroutine, durch obskure C-Pictures, durch Serienware, aber auch durch Filme, die zu einer Zeit etwas bedeutet haben, wir wissen nur nicht mehr genau was. In vielen dieser Filme (ein paar davon kann man sich aus den Niederungen der DVD-Kataloge fischen) bietet Christoph Waltz durchaus Glanzleistungen, ein Oszillieren zwischen method acting (das Waltz in der Tat bei Stella Adler in New York studiert hat) und Verfremdung. Einmal ist Christoph Waltz sogar „Tatort“-Kommissar, wird aber sofort wieder aus der Serie geschrieben, eines von so vielen abgebrochenen Projekten einer Charakter-Etablierung, die auch mit Waltz’ durchaus analytischer Darstellung des Sängers Roy Black nicht wirklich gelang, auch so ein Mensch, der nur zum Teil mit sich selber identisch ist und mit einem anderen ziemlich fassungslos neben sich steht.
Und dies ist die Pointe von Christoph Waltz’ Karriere: Sein Versuch, eine Karriere in Hollywood zu beginnen, brach sich an einer deprimierenden Aussage seiner Agentin: Einer, der so „deutsch“ aussieht wie er, kann in Hollywood nur üble SS-Schergen, Hackenschlagen, Sadismus, Arroganz inklusive, spielen. Das wollte Christoph Waltz nicht und wurde ein „Gebrauchsschauspieler“ (was alles andere als despektierlich ist) in der deutschen und österreichischen Traumfabrik. Doch die Zähigkeit dieser Karriere brachte ihm auch den Ruf ein, ein arger Zyniker in der Berufsauffassung zu sein. Es wollte wohl niemand sehen, dass vielleicht gerade darin, in der immer mitgespielten Distanz, die eigentliche Stärke dieses Schauspielers liegt.
Und dann kam die Erlösung, und zwar in der Rolle eines üblen SS-Schergen, Sadismus und Arroganz inklusive, in Quentin Tarantinos „Inglourious Basterds“. Das wurde, Brad Pitt hin und her, so ganz und gar Christoph Waltz’ Film, dass der Weltstar geboren war. Nicht als Erfüllung des Hollywood-SS-Mann-Models, sondern als seine Dekonstruktion.
Christoph Waltz macht den „russischen“ Bösewicht in „The Green Hornet“, spielt weiter bei Tarantino, verleiht einer Animationsfigur die Stimme und kann eigentlich mehr oder weniger machen, was er will. Dazu gehören übrigens eigene Regie-Arbeiten, bei denen man, was die Verknüpfung von Humor und Religion anbelangt, einen sehr eigenen Geschmack haben muss, und dazu gehört die grandiose Rolle in Roman Polanskis „Der Gott des Gemetzels“. Vielleicht ist es gerade dieser sarkastische Rechtsanwalt, Machtmensch und spielendes Kind, Zyniker und Ungetrösteter, inmitten einer so trivialen wie lebensgefährlichen Situation der Begegnung gescheiterter Kleinbürgerpaare, die wirkliche Rolle seines Lebens. Denn da zeigt er, dass diese Figur eines Menschen, der in sich und neben sich zugleich ist, auch im richtigen Leben auftauchen kann.
Allerdings sind für jemanden wie Christoph Waltz die Rollen der magischen Biographie rar. Und eigentlich ist er nun genau das, was er immer war, neben den wenigen, großartigen Ausbrüchen, ein verlässlicher Gebrauchsschauspieler, der dem größten cineastischen Blödsinn noch einen Hauch des kreativen Wahnsinns vermitteln kann. Und der immer den Intelligenz-Überschuss mitspielt.
Und der in ungefähr einem Dutzend Varianten zeigen kann, was das heißt: In sich hinein lachen.
Georg Seeßlen, © getidan
Gernot Wolfson
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