Comics von Donald Duck bis Sailor Moon
Das Schönste an Comics ist, dass man davon nicht reden kann ohne von der Kindheit zu reden. Mit Comics fängt es immer an: die Neugier, die Lust an Bildern und Texten, das Erkennen von Zusammenhängen und immer auch: Der Spaß am Überschreiten von Grenzen, die einem die Alltagswirklichkeit im allgemeinen, Eltern und Erzieher im besonderen ziehen.
Diese Ente im Matrosenanzug zum Beispiel, Donald Duck. Sie bedeutete für viele Kinder in der deutschen Nachkriegszeit alles zugleich: Trost an langweiligen Nachmittagen, an denen man sich nicht schmutzig machen durfte, satirische Abbildung von Familienverhältnissen und politischer Ökonomie und Vorahnung kommender Renitenz.
Wenn Comics nicht die Erinnerung an die eigene Kindheit sind, dann sind sie kleine Museen von Kindheiten anderswo und anderswann. Zum Beispiel die Kindheit in New Yorker Einwanderervierteln der 10er- und 20er-Jahre, wo man „Krazy Kat“ oder die „Katzenjammer Kids“ noch gemeinsam mit den Großeltern las, die kaum ein Wort englisch verstanden und sich deswegen über die Bildergeschichten in den Zeitungen freuten. Die Kindheit, die man mit den moralisch-satirischen Gruselcomics der „EC- Produktion“ verbrachte, in den 40er-Jahren, bevor besorgte Pädagogen dem Medium eine strikte Selbstzensur verpassten. So begann in den 50er-Jahren die Kindheit mit alles könnenden, aber trostlos langweiligen Superhelden. In Europa gab es eine Kindheit mit Tintin alias Tim und Struppi, in der man von Pfadfindern und Weltreisen träumte und sich nichts daraus machte, sich von einem bärbeißigen Kapitän begleiten zu lassen, der die Hälfte der Zeit sturzbetrunken war. In Deutschland folgte auf Donald eine Kindheit mit sogenannten Piccolo-Heften; für 20 Pfennig bekam man Endlosabenteuer um Sigurd, Akim oder Nick, den Weltraumfahrer. Es folgten – Comics werden immer universaler – Kindheiten mit den Peanuts, Kindheiten mit Asterix und Obelix, Kindheiten mit Spiderman, Kindheiten mit Dragonball, Sailor Moon und anderen Manga-Serien. Man kann sich kaum etwas unterschiedlicheres vorstellen als eine Donald-Duck-Kindheit und eine Sailor-Moon-Kindheit. Und wiederum: Nichts ist miteinander verwandter als eine Comic-Kindheit mit der anderen.
Comics erzählen immer zugleich davon, was sich eine Gesellschaft gerade unter Kindheit vorstellt und davon, wie sich Kinder gerade die Welt vorstellen. Extrem friedlich ging es dabei nie zu: Von den „Katzenjammer Kids“, die einen regelrechten Krieg gegen die Erwachsenen führten zu den Mangas mit süßen Mädchen und schleimigen Monstern. Nicht nur an den Geschichten und Charakteren, sondern auch an den Bildsprachen der Comics kann man ablesen, wie sich Kinder und Erwachsene jeweils zueinander verhalten. Comics wie „Donald Duck“, „Peanuts“ und „Asterix“ funktionieren wie Versöhnungsangebote. Kinder und Erwachsene können gemeinsam darüber lachen. „EC-Comics“, Akim-Hefte oder die Mangas, die heute den Markt beherrschen, funktionieren eher nach dem Ausschluss-Prinzip. Es sind Zeichenwelten, in denen Erwachsene eigentlich nichts verloren haben. Das sollte übrigens umso leichter fallen, als sich längst das Medium des Comic – oder sprechen wir in diesem Zusammenhang von „grafischer Erzählung“ – auch als erwachsene Kunst etabliert hat.
Denn wenn es so etwas wie eine Linie in der nun auch schon 110-jährigen Geschichte des Mediums gibt, dann ist es nicht etwa eine konstante Zunahme von Gewalt, Sex und schlechtem Geschmack, sondern die Fähigkeit, sich unendlich zu teilen und anzupassen. Comics für Kids, Comics für Teenager, Comics für Erwachsene, Comics mit grellen Effekten und Comics mit subtiler Bildsprache, Comics für Nostalgiker und Comics für Punks. Comics reagieren auf gesellschaftliche Veränderungen schneller als andere Medien. Das können sie, weil man beim Comic-Lesen nie ganz vergisst, dass es sich um Zeichen handelt. Um belebte Zeichen. Wenn ein richtiges Bild und ein richtiger Text zusammen kommen, dann erhalten die Zeichen eine Seele. Je erwachsener die Comics werden und je erwachsener ihr Publikum wird, desto seltener passiert das. Am schönsten sind Comics, wenn man mit ihnen von der Kindheit reden kann.
Georg Seeßleen
Deutschlandfunk – Kultur heute, 09.06.2009
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