Herlinde Koelbl: „Ich interessiere mich für Menschen. Aber es muss weitergehen als unter die Oberfläche. Das ist das ganze Geheimnis.“

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Wie man den Körper sichtbar macht

Bemerkungen zu einer Herlinde Koelbl-Ausstellung

Fotografieren ist keine Kunst. Sondern Fotografie ist verschiedene Künste mit sehr unterschiedlichen Beziehungen zu Mensch, Raum und Zeit. Zu Dingen und zu Körpern. Zu Licht und Farben. Herlinde Koelbl ist eine Fotografin auf der Suche nach dem Lebensbild des Menschen. Sie will sichtbar machen was da ist, und sie will uns zusehen lassen, wie das gemacht und wie das geworden ist.

Der Körper beispielsweise. Der immer beides ist, ein Gegebenes und ein Gemachtes, eine biografische Bestimmung vor allem Diskurs, und eine gesellschaftliche Zuschreibung, der man mit immer mehr Möglichkeiten (und immer mehr Geld) entsprechen oder auch widersprechen kann.

Auf jeden Fall, und das ist das Aufklärerische in den Bildern von Herlinde Koelbl, und manchmal auch das Drastische, ist der Körper eine Frage des Zusammenhangs. Man kann ihn zum Beispiel sehen in Zusammenhang mit der Macht, wie im Langzeit-Zyklus „Spuren der Macht“, wo man sehen kann, wie sich, zum Beispiel bei Angela Merkel, bei Joschka Fischer oder bei Gerhard Schröder nicht nur die Pose ändert sondern der wirkliche Körper. Man kann den Körper sehen in Zusammenhang mit dem Raum. Auf den großen Zyklus „Das deutsche Wohnzimmer“ folgte im Jahr 2002 das „Schlafzimmer“, jener Raum, in dem der Körper am wenigsten repräsentieren muss. Aber selbst diese Intimisierung ist kein Gegebenes, sehr unterschiedlich leben die Menschen ihre Körper in diesem Raum aus, das einmal so vorläufig ist wie in einem Hotel, das andere mal so endlos wie der Raum, in dem der Rentner geboren wurde, in dem seine Frau starb, und in dem auch er zu sterben hofft. Und sehen wir nicht auch in diesen Bildern, dass es eine Frage von Macht und Selbstbewusstsein ist, ob der Raum den Körper oder der Körper den Raum beherrscht?

© Herlinde Koelbl

© Herlinde Koelbl

Man kann den Körper sehen im Zusammenhang mit seinem gesellschaftlichen Ort. Ehrlich, nicht ohne grimmiges Vergnügen sehen wir seine Schamlosigkeit im Zyklus über die „feinen Leute“, wo wir die gastrische und sexuelle Gier bei der Arbeit beobachten dürfen. Nicht ohne Respekt bei den „starken Frauen“ und nicht ohne Wehmut bei den Kindern, die den Körper noch als ihr Eigentum empfinden dürfen.

Und man kann den Körper sehen im Zusammenhang mit seiner Inszenierung. Und sehen kann man ihn wiederum in seiner Zeit, als etwas, das man verändert, und das verändert wird. So wie die Macht nicht nur den Blick und die Gestik verändert, sondern den Körper als Ganzes – so verändert, doch einigermaßen verblüffend, einer eben nicht nur sein Haar, wenn er sich den Kopf rasiert, sondern den ganzen Körper. Oder auch: unseren Blick auf ihn.

Man kann den Körper, wie Herlinde Koelbl, in verschiedenen Zusammenhängen sehen, und jedes Mal, weil er in der Zeit und im Raum gesehen wird, erzählt er sich neu und anders. Deswegen ist es falsch zu behaupten, wie es die Feuilletonisten tun, diese Fotografin fange das Wesen eines Menschen ein. Ein solches Wesen gibt es nicht; die Wahrheit seines Körpers ist immer nur als Bild und als Erzählung zu haben. Deswegen kann man den Körper in den unterschiedlichsten Zusammenhängen sehen, wie er inszeniert ist (und wie eine Fotografin wie Herlinde Koelbl solche Inszenierungen noch ironisch zu brechen versteht) und wie er sich zu inszenierten vergisst. Nicht zeigen indes kann man den Körper in einem An-Sich, in einer „abstrakten“ Schönheit, wie sie nicht zufällig die Leni Riefenstahl so liebte. Noch der sterbende Mensch ist schöner als der verdinglichte.


Text: Georg Seeßlen

Bilder: © Herlinde Koelbl


Herlinde Koelbl – Mein Blick. Eine Werkschau 1976 – 2010

10.12.2010 – 10.04.2011

Münchner Stadtmuseum
St.-Jakobs-Platz 1
80331 München
Dienstag bis Sonntag: 10:00 – 18:00 U
hr

Katalog, Steidl Verlag, 28 Euro