– „Ich hatte einen netten Abend.“
– „Was war denn?“
– „Das Wohnzimmer. Programme.“
– „Was gab’s? Was für Programme?“ (Fahrenheit 451)
Es gab eine Zeit, da hat Science Fiction noch geholfen. Sie war ein Verständigungsmittel des liberalen Mittelstands und seiner Jugend; sie suchte nach einem Ausweg aus der Kindheitsfalle von Katastrophen- und Allmachtsphantasie, wohl auch von Dagegensein und Mitmachen; Science Fiction verspricht gern Aufklärung und behauptet zugleich genauso gern, dafür sei es ohnehin (beinahe) zu spät. Und oft, wie bei Ray Bradburys „Fahrenheit 451“ kommen die Spekulationen über die Zukunft ziemlich direkt aus einer Erfahrung der Gegenwart. Bei Bradbury war es die Begegnung mit einem Polizisten in L.A.: „Eines Abends im Jahr 1950 ging ich mit einem Freund Essen. Als wir später den Wilshire Boulevard entlang spazierten, hielt neben uns ein Polizeiwagen. Ein Polizist stieg aus und fragte, was wir da tun würden. ‚Wir setzen einen Fuß vor den anderen’, sagte ich, nicht besonders hilfreich. Der Polizist stellte uns weitere Fragen, warum wir hier herumspazierten. Als ob wir durch unseren nächtlichen Spaziergang einem Gesetzesbruch gefährlich nah kommen würden. Dann ging ich nach Hause und schrieb eine Geschichte, die ich ‚Der Fußgänger’ nannte“. Es war der Kern für einen „Klassiker“ des Genres, die Geschichte von einer Welt, in der die „Feuerwehr“ dazu da ist, alle Bücher zu verbrennen, statt Feuer zu löschen. Eine ziemlich naive, aber darin eben auch aufrechte Dystopie über die Kraft und Gefährlichkeit des Wortes und die medial-politische Entmündigung. Richtig schlüssig ist das alles nicht, aber trotzdem ist die Wandlung des Feuerwehrmannes Guy Montag vom Vernichter zum Bewahrer der Buchkultur ergreifend: Weil die Verzweiflung eines Menschen an der stinknormalen Vorstadt-, Fernseh- und Autokultur der fünfziger Jahre durchschimmert. Und jedenfalls ist klar, dass es keine Diktaturen wie diese gibt, wenn die Menschen sie nicht mehr oder weniger haben wollen.
Die SF hat ihre eigenen Legenden: Die erste Fassung des Romans unter dem Titel „The Fire Man“ schrieb Bradbury 1950 im Keller der Bibliothek der University of California in Los Angeles auf einer Münzschreibmaschine. Er steckte jeweils 10-Centstücke in die Schreibmaschine und schrieb gegen die ablaufende Zeit an. Insgesamt kostete ihn die erste Fassung 9,80 US-Dollar, schreibt Bradbury im Nachwort einer späteren Auflage. Typewriter punk!
Zwei Vertreter der Nouvelle Vague, Jean-Luc Godard und Francois Truffaut, nahmen sich in den sechziger Jahren noch einmal der Science Fiction an. Die Naivität des Genres war damals, in Godards „Alphaville“ wie in Truffauts „Fahrenheit 451“, ein notwendiges Nebenthema. Damals wurde darüber diskutiert, ob bei Truffaut die „Büchermenschen“, jene, die in der Welt der verbotenen und verbrannten Bücher in die Wälder fliehen, um dort für den Rest des Lebens als in- und auswendig gelernter Text weiter zu leben, nicht ebenso absurd seien wie das Verbrennen nicht von bestimmten, sondern von allen Büchern. (Als hätte das Medium selber Wert, und wäre es nicht Inhalte wert, gerettet zu werden: Von mir aus könnte man gut neunzig Prozent der Buchproduktion verbrennen, wenn es nur nicht so eklige Assoziationen gäbe.)
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Bei den Dreharbeiten soll es zwischen Truffaut und Oscar Werner viel Streit gegeben haben. Oscar Werner wollte wohl, dass man den Feuerwehrmann Guy Montag als „Faschisten“ kenntlich machte, jedenfalls Mitglied einer faschistischen Organisation, Truffaut dagegen wollte seine bürgerliche Normalität betonen. Hat beides etwas für sich, und vielleicht macht gerade das Dazwischen am Ende die seltsame melancholische Spannung dieses Filmes aus, der dann doch etwas ganz anderes ist als der Roman, nicht nur weil es keine Roboterhunde, keinen Atomkrieg und keinen Wissenschaftler Faber als Agenten der Büchermenschen gibt.
Nun also, sechzig Jahre nach dem ersten Erscheinen des Textes, eine Comic-Version (wie gut dass es gerade einen Boom der Graphic Novels gibt, und eine weitere Variante vom „Erwachsenwerden“ des Mediums). Keine Ahnung, ob es einem der Beteiligten auffällt: Ist eine Comic-Version des Romans über das Verschwinden der Texte und den Sieg der Bilder nicht eine Art Erfüllung der eigenen Dystopie? Abgesehen von den sinnlichen und handwerklichen Qualitäten. Es herrscht wirklich Hitze, es brennt in diesen Seiten. Und da ist der Kontrast: Eine Art weißer Regen, von dem man kaum glauben mag, dass er, wie Clarissa sagt, nach Wein schmeckt.
Das alles ist ganz schön, stimmungsvoll, wie man so sagt, sehr hübsch öffnet sich Tim Hamiltons Strich der Farbe, und die Comic-Version bringt eine neuerliche Schwebe zwischen „Immer“ und „zur Zeit“. Dass sie dem Text treu bleibt (trotzdem gelegentlich klammheimliche Anleihen beim Film nimmt, auch wenn nun Clarissa wieder eher „ein Mädchen“ ist und Truffauts Pointe, sowohl Montags Fernsehsüchtige und überangepasste Frau als auch sein Phantasma der Rebellion mit der Schauspielerin Julie Christie zu besetzen nicht einmal mit gedacht wird), ist erfreulich respektvoll, wirft aber doch auch die Frage auf: Wozu? Muss der Comic als „graphic novel“ noch beweisen, dass er nicht genau das illiterate Medium ist, als das es in Buch und Film zitiert wird? Ist der Stoff wie geschaffen, die wundersame Kunst der szenischen Auflösung und der Farbdramaturgien zu erproben? Wer weiß. Das Comic-Buch liest sich jedenfalls vergnüglich und sinnlich anregend; eine echt neue Lesart schlägt es, glaube ich, nicht vor.
In einem 1979 erschienenen Nachwort beschreibt Bradbury die Tendenz, neue Auflagen von Büchern durch subtile Änderungen nachträglich dem Zeitgeist anzupassen. Eine kürzlich erschienene Ausgabe von Fahrenheit 451, eines Buches, das die Zensur zum Thema habe, sei durch Änderungen und Säuberungen der Herausgeber an 75 Stellen von der Erstausgabe abgewichen. Weder dem Autor noch den Lesern sind diese Änderungen zur Wahl vorgelegt worden.
Schön immerhin. Eine Comic-Version einerseits und Königs Interpretationshilfe für den Englischunterricht andrerseits, mit „einer systematischen Interpretation des Textes unter folgenden Gesichtspunkten: Personen; Form und Erzählstruktur; Sprache und Symbolik; Thematik; Interpretation von Schlüsselstellen.“ Ja, so ein Roman kommt eben rum.
Autor: Georg Seeßlen
erschienen in konkret 6-2010
Fahrenheit 451 spielt in einem totalitären Staat, der die Menschen im Zustand der Unmündigkeit hält. Drogen und Videowände lassen keine Langeweile aufkommen, das Fernsehen dient der Ruhigstellung der Gedanken. Selbstständiges Denken ist tabu, gilt als gefährlich, da es zu anti-sozialem Verhalten führe und so die Gesellschaft destabilisiere. Es ist ein schweres Verbrechen, Bücher zu besitzen oder zu lesen, Bücher gelten als Hauptgründe für ein nicht systemkonformes Denken und Handeln. Niemand vermisst etwas. Auch der Feuerwehrmann Guy Montag nicht, der sein Geld nicht damit verdient, Brände zu löschen, sondern Bücher aufzuspüren und sie zu verbrennen. Bis eines Tages…
Fahrenheit 451: Graphic Novel (Gebundene Ausgabe)
Von Ray Bradbury (Autor), Tim Hamilton (Illustrator)
Tim Hamiltons Adaption überführt Bradburys Meisterwerk in die Gegenwart: In pulsierenden, eindringlichen Bildern, die geprägt sind von Art Deco und Film Noir, erzählt er eine beklemmend aktuelle Geschichte neu und zeigt, was eine Graphic Novel vermag. (Eichborn)
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