Ästhetik des Ungehorsams
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Fast alle Deutschen haben in der Hitlerzeit verfolgten Juden geholfen und ganz frech gegen den Führer geredet. Die meisten Deutschen haben die Nazi-Kunst gleich als furchtbaren Kitsch durchschaut und sind in die Ausstellung „Entartete Kunst“ gegangen, oder zuvor schon in der Mannheimer Ausstellung „Kulturbolschewistische Bilder“ in Mannheim, wo man unter anderem Bilder von Paul Klee sehen konnte, weil sie da das Wahre und Wirkliche an der Kunst gesucht haben, das sie sich doch von einem verkrachten, talentfreien Kunstmaler nicht ausreden ließen. Nur wer das glaubt, kann selig werden in der deutschen Nachkriegskultur.
So selig weiter wurde die politische Kunstgeschichte in Deutschland geschrieben nach dem Krieg, und niemand hat Talent, Leidenschaft und Ressourcen genug gefunden, um sie neu zu schreiben. Und selig werden konnte man leicht mit einer Moderne, die scheinbar nichts im Sinne hatte, als sich zu einer reinen Ästhetik zu entwickeln, nichts zum Inhalt zu haben als sich selbst – und gerade dadurch zu verkommen zum Ornament in den neuen Bürgerhäusern.
In der Zerfallskultur des Zerfallsprodukts des Bildungsbürgertums (das wir uns wiederum nur als Selbst-Suggestion einer bestimmten Schicht des tertiären Sektors vorstellen können), vulgo „Spaßgesellschaft“ genannt, dominiert ein hoch manipulativer, wenn nicht gar mafios organisierter privater Kunstmarkt auf der einen und eine Form der Eventkultur mit gigantomanischen Superausstellungen und einem Disneyfizierten Drumherum auf der anderen. Weder für den ästhetischen Eigensinn noch für den künstlerischen Diskurs war dazwischen allzu viel Raum, und wenn man zuviel davon wagte, wie gelegentlich bei der Kasseler documenta, grummelte es bis ins liberale Feuilleton von „Theorielastigkeit“ und „Politisierung der Kunst“. Jetzt aber ist Krise. Nicht bloß ökonomisch, sondern auch moralisch. Jetzt müsste die Kunst wieder helfen.
Aber ach! Die Frage nach dem Zusammenhang von Kunst und politischer Moral, nach einer wirklich modernen Ikonographie für ein politisches Bewusstsein, ist dringender und schwieriger denn je – und vor allem denn in der langen Zeit vor der neoliberalen Revolte von oben, in der es dringlicher schien, die Dinge überhaupt in Bewegung zu bringen und zu halten. Die Zeit der künstlerischen Chuzpe ist vorbei. Das „Subversive“ ist von der Gegenseite so vollständig kannibalisiert, dass davon nur wenig Hoffnung ausgeht. Aber deswegen können wir noch lange nicht zum politischen Kitsch zurückkehren.
Eine Ahnung davon gibt die allfällige Wiederentdeckung des Malerischen, und im Malerischen des Figurativen, des Zeichnerischen auch gegen die medialen Ausweitungen der Kunst. Diese Wiederentdeckung scheint merkwürdig populär, als hätte man nur darauf gewartet. Zur gleichen Zeit geraten gerade die modernen Auseinandersetzungen, die Medienkunst, die Auseinandersetzung mit den neuen Technologien (die sich im Übrigen nicht so ohne weiteres privatisieren lassen) ins Hintertreffen. Vielleicht ist das klassische Tafelbild einfach und paradoxerweise leichter zu medialisieren als eine medialisierte Kunst. Wer weiß. Auf jeden Fall kann man in der Rückwendung der Kunst zum Tafelbild und zur Zeichnung (jedenfalls in den großen Inszenierungen der Eventkultur) ein Stück gehöriger Reaktion ausmachen. Als könnte auf diese Weise „Kunst“ wieder mehrheitsfähig werden (und als müsste die mediale Entgrenzung neben der „Theorielastigkeit“ klammheimlich an die Stelle der „Entartung“ treten). Aber diese technologische Rückwendung hat nicht nur einen retrospektiven Aspekt, sondern gibt auch die Chance einer Art des dem ästhetischen Subjekt zurückgegebenen Rechts auf Widerstand mit den individuellen Mitteln. Offensichtlich muss die Kunst in gewisser Weise wieder „ärmer“ werden, um der vollständigen Einbindung in den ökonomisch-technologischen Komplex zu entgehen.
Nun also sind die Dinge fatalerweise von der anderen Seite enorm in Bewegung geraten. In der Kunst geht es mit einem Schlag mehr um Verteidigung und Bewahrung: Sich selbst erhalten und dann auch noch einen humanistischen und demokratischen Anspruch, damit hat man alle Hände voll zu tun. Die Privatisierung der Kunst, die Privatisierung sogar der Definitionsmacht, der Ausstellungs- und Öffentlichkeitsmacht, ein Ende der Kunst als elender Anhang von Sponsoring und Spekulation (der Kunstmarkt als böse Parodie des Marktes, das kennen wir ja schon lange genug) – was bleibt uns da, als gelegentlich zu Wurzeln zurückzukehren? In so einer Situation gibt es nichts, was man so sehr benötigt wie Vor-Bilder. Paul Klee, sowieso einer der Hausgötter einer vorstellbaren ästhetischen Linken, zum Beispiel.
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Wieder also und ganz anders als vordem geht es um eine Ästhetik des Widerstands. Und wieder geht es dabei auch darum, historische Bezugspunkte zu finden. Ein Anlass dafür ist die Ausstellung in München, die die Bilder von Paul Klee zeigt, die er in den Jahren von 1933 geschaffen hat. Die Bilder waren lange verschollen und verstreut; 1984 wurden sie identifiziert und katalogisiert, knapp zwanzig Jahre später können wir 100 von den insgesamt 246 Zeichnungen zusammen ausgestellt sehen, die zu diesem Jahr katalogisiert sind. Dazu kommen 15 Gemälde und farbige Arbeiten aus demselben Jahr.
Verzweifelt, wie man so sagt, und in einer manischen Arbeitswut entstanden diese Bilder, die mit einem Publikum zunächst nicht rechnen durften. Es ist eine Arbeit für sich. Man kann diese Bilder freilich ebenso auch als Ausdruck eines Widerstands sehen, eines Blicks, der sich die Genauigkeit nicht nehmen lässt, und mehr noch: als die Anwendung einer ästhetischen Methode in der persönlichen und kollektiven Not. Die Skizzen, die in diesem Jahr entstanden, sind nicht als Teil eines Zyklus gedacht, sie entstehen ohne einen Plan. Überdies ist es wohl nicht möglich, die Zeichnungen, die Klee selber seinem künstlerischen „Projekt“ zur Zeit zuschrieb, gegen andere, die zur selben Zeit entstanden, abzugrenzen. Sowohl von der Form als auch vom Inhalt her gibt es offene Grenzen, und nicht einmal eine eindeutige Beendigung könnten wir ohne Mühe konstruieren. Ein wenig Spekulation und Projektion mag dabei, bei aller kunsthistorischen Sorgfalt, schon im Spiel sein. Warum auch nicht?
Das kleine und wichtige Kapitel aus der Geschichte ästhetischer Opposition beginnt mit einem Besuch des Malers bei seinem Freund, dem Bildhauer Alexander Zschokke. Er hat eine Mappe von Zeichnungen dabei und erklärt, sie seien seine gezeichneten Kommentare zur „nationalsozialistischen Revolution“. Natürlich ist diese Aussage auch in sich ironisch, denn es ist keine „Revolution“ die die Faschisten durchführen, ihrem Wahn von Bürokratie, Ordnung und Befehl zum Trotz steckt außer der Gewalt kein Projekt in der Faschisierung der Gesellschaft. Und Zschokke bemerkte schon seinerzeit „etwas Komisches“ in den Zeichnungen als das Verbindende. Das mag uns allzu leicht dazu verleiten, in diesen Arbeiten eine Art Rückzug in die Karikatur, eine Geste der vorsätzlichen Verkleinerung zu sehen. Doch Klee lässt sich nirgendwo auf die Sprache, die Symbole und die Ideologie der Nationalsozialisten ein. Er sieht etwas anderes, es ist eine Groteske, die er beschreibt. Wenn seine Linien vordem eine archaische Würde des Menschlichen konstruierten, die Maske der Zivilisierung, meinethalben, dann gehen diese Zeichnungen wieder einen ganz andere Weg: Sie nehmen gerade das Organische wieder auf, sie imitieren das Körperliche gegen das Konstruierte, so wie umgekehrt die Faschisten den Körper gerade konstruktiv erscheinen lassen wollen. Man kann Klees Bilder direkt den faschistischen Körper-Ornament-Bildern gegenüber stellen um zu begreifen, dass hier ein Vorgang sozusagen auf den Kopf (oder eben auf die Füße) gestellt wird, der zwischen dem Körper und seiner Inszenierung nur die Farce entstehen lässt. Es ist ein Kampf um den Körper (und einer gegen die Maske), der in diesen Bildern stattfindet.
Zu den neuen Themen kommen aber auch immer wieder die alten. Gut möglich also, dass wir etwas hineinsehen in diese Bilder, was nie wirklich bewusst in sie hineingesteckt wurde. Ebenso gut aber auch ist möglich, dass wir lange eine Geste des ästhetischen Widerstands, ein Modell übersehen haben. Nur: einen „Plan“ für diese Arbeit als direkte politische Geste gegen eine sehr konkrete Form der „Machtergreifung“, können wir darin nicht erkennen. Lilly Klee wollte sie denn auch nur als Ausdruck „der chaotisch wirren Zeit, die sich durch den Umsturz ankündigte“ gelten lassen. Das freilich wäre auch etwas wenig, ebenso wie die „Karikatur“ dieser faschistischen Revolution in den Posen, der Gewalt und der Verfolgung zu ihrer Beschreibung nicht ausreicht. Dazu ist der Bruch vielleicht doch zu heftig, auch in der eigenen Arbeit.
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Wohl die meisten Skizzen sind als direkte Reaktionen auf andere Bilder entstanden. Bei manchen Bildern ist geradezu ein Vorgang der ideologischen Skelettierung nachzuvollziehen (bei anderen können wir uns einen solchen Vorgang immerhin vorstellen): Aus dem Vor-Bild einer der Fotografien, die nationalsozialistische Posen oder die Gewalt gegen ihre Opfer zeigen, tilgt Klee alles, was an konkreten Zeichen und historischem Bezug vorhanden ist und erhält so die reine Darstellung der faschistischen Situationen. Kommt er auf diese Weise dem Faschismus gleichsam auf den seelischen oder mythischen Grund, indem er auch hier eine Technik der Reduktion, der Archaisierung anwendet? Jedenfalls setzt Klee der faschistischen Zeichen-Wut hier eine Technik der Ent-Zeichnung entgegen.
Bei Bildern wie „Ziel erkannt“ oder „Karl der X-te und Johannes der Täufer“ ist diese Technik der Reduktion in der Tat der Karikatur sehr nahe, und das „nordische Paar“ kann man als recht böse Parodie auf die faschistischen, antik-tümelnden Körperbilder ansehen. Wenig fruchtbar scheint es dagegen, das Bild einer Marionette („an Schnüren“) als Metapher zu verstehen. Es ist keineswegs so, dass alle Zeichnungen dieser Zeit etwa direkte Auseinandersetzungen mit dem Nationalsozialismus in seiner öffentlichen Gestalt wären. Sie kommen dem nicht nahe, was Klee schon 1931 mit seinem „Stammtischler“ als treffende Hitler-Karikatur gezeigt hat. Für eine „Entlarvung“ ist es bereits zu spät.
Klee skizziert in diesem Jahr häufig ganz „gewöhnliche“ Formen sozialer Interaktionen mit einer anderen, inneren Sicht: Disziplinierungen, Pädagogik, Gleichschaltungen, selbst noch in den künstlerischen Tätigkeiten von Orchester und Ballett, begegnen in den Skizzen einem unfolgsamen Strich, erweisen sich als Rituale heimliche Kämpfe und sadistischer Unterwerfungen. Klee sieht in dieser „nationalsozialistischen Revolution“ offensichtlich nicht zuletzt einen Akt schwarzer Pädagogik (und kommt schon deswegen um Schichten tiefer als es die Kritik der reinen Formen erreichen könnte): Die Unterwerfung des Körpers ist nicht ohne Lust, ohne die Zustimmung des Körpers möglich. Aber was bleibt dann der Kunst?
So wie in den Bildern der Jahre zwischen 1904 und 1905, Klees Auseinandersetzung mit antikem und klassischem Maß in der Kunst, und eine heftige Geste der Opposition dagegen, oft der Mensch gegen die Maske gestellt ist, so ist hier, allgemeiner, das Körperliche gegen das Bild gestellt, die augenblickliche Bewegung gegen die Pose der Selbstüberhöhung. Jede Skizze, noch unabhängig von ihrem Sujet, ist eine konkrete Geste gegen diese neue Ordnung der Bilder. Klee verlässt seine Suche nach dem neuen Maß, nach den Bildern hinter den Bildern, um mit dem ungehorsamen, körperlichen Strich zu widersprechen und muss dabei auch sich selbst widersprechen (dem, was er an Schönheit erreicht hat). Dann erst wird, die Bilder zu entschlüsseln, immer als doppelte Aufgabe, lohnend: Als Auseinandersetzung eines längst verfemten Malers mit der „nationalsozialistischen Revolution“ und als Auseinandersetzung mit der Bildergeschichte (neben der Antike mit den Zeichnungen Daumiers etwa) zwischen dem Körperlichen und dem Idealen, der Befreiung und der Repression, die beides durch das Bild geschehen kann.
Es gibt also womöglich drei Absichten in diesen Arbeiten, die das Karikaturhaft-Kritische als direkten Impuls nur sozusagen als Nebenprodukt erzeugen: Eine Wiedergewinnung des Körperlichen gegen die Posen des Faschismus (oder auch: in ihnen), jeder Strich scheint eine Gegenaktion gegen die „geradlinigen“ und ausgerechneten Bilder von Maschine und Körper in der faschistischen Ästhetik. Die Skelettierung sozialer Situationen dieser Zeit der „nationalsozialistischen Revolution“. Ganz direkt steckt in „das Kunstwerk“ eine Konfrontation des Monumentalismus und der falschen Harmonien mit dem schnellen und zielgerichteten Strich jener, die den Augenblick der Zeit und nicht die Ewigkeit des Ideals anzielen. Aber es wäre eben auch hier zu kurz gegriffen, wenn man nur eine eindeutige „Satire“ oder Polemik darin sähe. Denn ebenso wie es um die Auseinandersetzung mit der eigenen Form geht, geht es auch um eine Verteidigung der wirklichen archaischen Kunst gegen den faschistischen Zugriff. Und schließlich ist in diesem „gelinden Zeichenrappel“ eine Befragung des eigenen Werkes verborgen, Klees eigenen „Barbarismus“, es ist ein Kampf um den Verlust des „Ursprünglichen“ in der Kunst.
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Wie könnte man all dies sehen ohne einen Umweg durch die Brüche der Biografie? Paul Klee war eines der ersten Opfer des Wahns der Nazi-Kultur und ihrer „Kampfbünde für deutsche Kultur“, schon vor der eigentlichen Machtergreifung. Er wird zum „galizischen Juden“ gestempelt, und nach dem Reichstagsbrand wird sein Haus in Dessau am 17. März von Polizei und SA gestürmt. Klee flüchtet zum ersten Mal in die Schweiz, und am 21 April erhält er die Nachricht von seiner „Beurlaubung“ von der Düsseldorfer Kunstakademie. Eine persönliche Katastrophe kommt zur historischen: Am 8. Mai verunglückt die Pflegetochter Karla in Palästina tödlich. Da ist zunächst einmal Lähmung, ein Widerwille gegen jede große Form. „Klee versucht leise wieder zu arbeiten“, beschreibt seine Frau den Neuanfang in dieser Zeit. Auch in der Form und in der Technik gibt es eine Demut und eine Wut, die durch Ironie kaum besänftigt ist. „Innerlich abgestellt“ verharrt er in Deutschland und erlebt das Jahr 1933 als eines des zunehmenden Terrors. Erst am Ende des Jahres übersiedeln er und seine Familie nach Bern. Paul Klee ist prominent vertreten in der Schau der „entarteten Kunst“.
Zunächst versucht Klee vielleicht wirklich, dem Terror mit seiner Waffe, der Ironie, zu begegnen, das heißt nichts anderes als erste Distanz gewinnen. Er versucht sich, in seinen Bildern wie in seinen Notizen und Briefen, über die grölenden Gewalttäter und ihren Rückhalt in der Bevölkerung lustig zu machen. Er zeichnet „die nationalsozialistische Revolution“ in Form eigenartiger Kassiber, Zeichnungen, die eine menschliche Katastrophe begleiten: Wirklichkeit, die einem zur gleichen Zeit überdeutlich wird und die einem entschwindet. Was am Technischen auffällt ist eine Art von Schnelligkeit. Es sind Skizzen, die nicht auf weitere Ausführung drängen, Bleistift und Fettkreide auf Papier. Es geht um, wie Klee es in einem Brief schrieb „unverschämte, grad sein sollende Linien“. Striche, die ihre Unbotmäßigkeit zeigen. Seine Skizzen verlangen nicht nach Dauer und Ort. Ihre Entstehung ist ein Akt des Widerstands, der keine Wirkung berechnet (nicht, dass es nicht eine Reihe von Menschen, seine ehemaligen Studenten darunter, gegeben hätte, die Klees Zeichnungen gesehen und begriffen hätten). Genauer gesagt kann man vielleicht in diesen hundert Zeichnungen sehen, wie ein zwar vielfältiges und rätselhaftes aber in sich geordnetes Werk eine neue Erfahrung gegen sich selbst wendet. All das Spielerische und Magische wird in diesem Jahr 1933 in Frage gestellt, das „Glückliche“, wenn man so will, in Klees Malerei und Zeichnungen zersetzt sich. Auch die Farben in den wenigen Gemälden verdunkeln, die Striche werden aggressiver und zerstörerisch. Das Gemälde „Von der Liste gestrichen“ zeigt nicht nur einen „durchgestrichenen“ Menschen, sondern auch eine durchgestrichene Art des Bildes.
Der vielleicht entscheidende Wechsel liegt innerhalb dieser Arbeiten selbst. Klee wechselt von der karikaturhaften Darstellung von Szenen von Tat und Tätern zur Perspektive der Opfer, wie in „Menschenjagd“. Er zeigt daneben Menschen wie in „Zwiegespräch über Gott“ oder „die Ratlosen“, die sich in Landschaft und Kommunikation verlieren. Immer wieder blitzt eine Ironie auf, die aber der Ungeheuerlichkeit nicht mehr Herr wird. Während sich Klees Bilder vordem auf eine nahezu unverschämte Weise zum Betrachter hin geöffnet haben, dokumentiert sich hier Entfernung und Isolation.
Folgen wir den Bildern in der Reihenfolge der Katalogisierung, so beginnt alles mit einer Erinnerung an das entgrenzte „Soldatische“, das in den Jahren zuvor schon spukte; in „Erneuerung der Mannszucht“ scheint tatsächlich das Archaische eines antiken Kriegers in die Figur eines stolzierenden Bürokraten zu wechseln. Mit dieser Verwandlung am Beginn verwandelt sich die (gezeichnete) Welt. Klee erinnert sich an Tiere und an das Ballett, aber all das hat seine Unschuld verlieren; die Menschen bekommen wieder Gestalt und verlieren zugleich Kontur. Die „Anklage auf der Straße“ und, heftiger, „Schwer erziehbare“ geben direkt Eindrücke des Straßenterrors wieder, die Gewalt, die für Klee immer weniger in die ironische Rationalität des Bürgerlichen gegossen scheint. Wenn es „Karikatur“ in diese Skizzen gibt, dann widerspricht sie der „Ironie“, und wenn es Ironie gibt, so widerspricht sie aller Karikatur. Denn der Versuch der Distanzierung ist ebenso vergeblich wie der der indirekten Aneignung. Es ist der Strich, genauer eine Multiplikation der Striche, die solche Szenen sowohl von der Karikatur als auch von der impressiven Beschreibung abheben. Der Körper gerät in eine Bewegung der Auflösung und Zerstörung, die noch häusliche Szenerien, das Erotische, das „kleine Bild“ des vorscheinlichen Idylls (wie in „Lob der Fruchtbarkeit“) erfasst. Die Menschen haben keinen Halt mehr und finden keinen Platz. Die Multiplikation der Linien deutet nur zu genau darauf hin, dass sie unterbrochen sind, und dass eine Linie der Kunst unterbrochen ist.
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Worum Klee kämpft in diesen Bildern, die mal das Schreckliche und Gewalttätige ansehen, dann wieder an die kleine Festlichkeit, das Idyll anschließen, ohne es anders als Farce rekonstruieren zu können, ist der Wert seiner Suche und seiner Methode selbst. Er hat seine Kunst gefunden (natürlich: unter anderem) durch einen Weg in den Mythos, in das, was man leichthin das Barbarische genannt hat, durch die Beginne der Gestaltung bei den Kindern, in der Natur. Er hat auf das Vor-Bürgerliche zurückgegriffen, in aller Hoffnung, gerade dadurch dessen Begrenzungen zu überwinden. Auch sein Konzept der Moderne ging durch etwas „Ursprüngliches“, den Beginn des Formens.
Aber nun greift eine ganz andere Form des Barbarischen, eine ganz andere Mythologie des Vor-Bürgerlichen und Vor-Modernen, eine ganz andere Art des „Ursprünglichen“ nach der Macht. Klee muss seine eigene Arbeit befragen. Immer wieder hat man in den Skizzen dieser Zeit, ganz anders als in den Reduktionen zuvor, den Eindruck des Überschreibens, des Durchstreichens, Titel wie Skizzen haben häufig ein Scheitern, eine Kritik zum Inhalt: „Schlechter Trommler“, „zu kurz“. Sogar der Kritiker selbst (mit leeren Augen) erscheint. Und dann gibt es Skizzen, die nur das Körperliche und Direkte wiedergeben wollen: „Gewalt“. Der Körper krümmt sich und wird deformiert („hinzurichten“), aber er ist.
Die Wesen in diesen Skizzen sind viel zu nackt, um sich gesellschaftlich genauer zu bezeichnen. Man findet hier weder die Zeichen noch die Selbstinszenierungen der Nazis – und beides doch immer wieder verborgen: das Äußere scheint als Inneres wieder auf, wie das Hakenkreuz in Körper und Gesicht. Man muss in diesen Bildern zur „nationalsozialistischen Revolution“ also kein Abbild der politischen Ereignisse erwarten und darf, meines Erachtens nach, auch nicht allzu viel an Absicht und bewusster Gestik in die Bilder hinein projizieren. Manche Themen, wie der Militarismus und die Gewalt, die von Hierarchien ausgeht, sind in Klees Arbeit von früher bekannt, vielleicht sogar auf den ersten Blick längst klarer behandelt.
Klees Zeichnungen zur „nationalsozialistischen Revolution“ dokumentieren, wie die Zeichen und Gesten der Faschisten körperliche Realität werden. In einem Brief an seine Frau am 30. Januar des Jahres beschreibt Paul Klee dieses Modell. Er will keinen „Leitartikel“ schreiben sagt er da, „Aber man macht sich doch seine Gedanken, und versucht Stellung zu nehmen, so jammerbar der ganze Schauplatz deutscher Innenpolitik ist und bleibt. Das übrige wird sich dem Neugierigen bald zeigen, insofern es ihn persönlich betrifft. Dass dem Ganzen je zu helfen sei, glaube ich nicht mehr“. Stellung nehmen in einer Situation, in der dem Ganzen nicht mehr zu helfen ist. Das also mag das Programm sein in der Ikonographie der Körper in der faschistischen „Revolution“. Im übrigen schließt Klee diesen Brief mit der Bemerkung, er sei gestern einem „gelinden Zeichenrappel unterlegen“.
Die Zurichtungen des Menschen setzen sich mit gesteigerter, grausamer Lust fort. Verfolgung und antisemitische Ausgrenzung bekommen daneben ein verwandtes Gesicht – denn in der Tat ist das eine ohne das andere nicht denkbar: Auch der Antisemitismus ist nicht nur eine ideologische Haltung, auch der Antisemitismus geht durch den Körper. Daher reicht zur Verteidigung das Menschliche allein nicht aus gegen den faschistisch zugerichteten Körper. Auch hier sucht Klee das Ursprüngliche seiner Empfindungen und seines Entsetzens. Die Genauigkeit dieser skizzierten Chronik der Faschisierung liegt auf einem anderen Gebiet als der karikierenden Abbildung. Es ist als könnten wir, was da geschehen ist, direkt in den Körper und in die Wahrnehmung übersetzen, in eine Hand, die den Bleistift nicht mehr so führen kann wie noch vor kurzem.
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Man könnte wohl auch argumentieren, es spiegele sich in diesen Zeichnungen eine Befreiung: Nachdem keine neue Professur mehr möglich war, konnte sich Klee zum ersten mal als „freier Künstler“ empfinden. Dass es ein eigenartiger Zustand zwischen Angst und Zorn auf der einen Seite, Befreiung und Arbeit auf der anderen ist, in allen diesen Zeichnungen zu spüren. Vielleicht deshalb ist der Aspekt einer Selbstbefragung in diesen Arbeiten so wichtig, nicht nur in der Biographie des Künstlers, sondern auch als Modell für uns.
Es ist nicht nur der Kampf zwischen der Abstraktion und der Figürlichkeit, zwischen Körper und Bild, sondern vor allem auch einer darum, ob die Auseinandersetzung mit der „nationalsozialistischen Revolution“ in der Form einer Tragödie oder der einer Farce geführt werden müsse. Noch zu Beginn des Jahres 1933 scheint in Klees Arbeiten wie „(versuch zu Antigone)“ noch die Möglichkeit der Tragödie auf. Doch in der Tat gibt das Tragische dieser „Revolution“ ein falsches Gewicht. Sie ist nur als grausame Farce zu beschreiben. Sicher ist für Klee diese Entscheidung unter anderem eine Rückkehr zu Beginnen, nicht nur der Ironisierung, sondern auch der Auseinandersetzung mit den griechischen „Idealen“. Es ist die Revolte des organischen und einzigartigen gegen die Herstellung von Ideal und Maschine. Das Komische entsteht dabei auf eine sehr eigenartige Weise, die eben ganz und gar nichts mit Karikatur zu tun hat. Es ist das Aufbrechen von Lust und Schrecken hinter der Inszenierung. Insofern vielleicht ist es bedeutsam, die erotischen und „animalischen“ Motive durchaus im Zusammenhang mit jenen Blättern zu sehen, die ganz direkt die Entstehung von Furcht und Elend des deutschen Faschismus beschreiben. Das Leben selbst, das sich hinter den Inszenierungen zeigt, ist ambivalent. Es ist Entlarvung und Hoffnung von einem Blatt, von einem Strich zum anderen.
Klee kehrt zu einem Ursprung in den ersten Jahren des Jahrhunderts zurück, in denen er sich selbst von der antiken und klassischen Formensprache befreite. Der Untertitel einer Radierung aus dem Jahr 1904 trägt nicht umsonst den Untertitel „der Witz hat über das Leid gesiegt“. „Witz“ ist dabei, obwohl wir bei dem dargestellten Menschen ein sehr eigentümliches Lächeln erahnen können, mehr als das Komische und die Ironie. Dieser Witz ist der Geist und das Leben, das hier ganz buchstäblich vor die Maske des Ideals tritt.
Klees Blätter zur „nationalsozialistischen Revolution“ sind also zugleich Geste ästhetischer Opposition und bildnerische Recherche: die griechische Form (Tragödie und Maske), mit der Klee Zeit seines Lebens einen, sagen wir: gewitzten Kampf führte, wird von den Nazis zum Verbindlichen erklärt und zugleich so verkitscht, dass sich natürlich der gewitzte Kampf damit nicht lohnen würde. Hinter die Masken und Inszenierungen zu schauen bedeutet also für Klee einen doppelten Kampf. Er hat sich immer mit jenen Dichtern, von Aristophanes über Heine zu Gogol („eine Welt sichtbaren Gelächters und unsichtbarer Tränen“) beschäftigt. Er erprobt ihre Methoden der Ironie und erkennt ihre Grenzen. Der Witz und das Leid müssen sich neu arrangieren, denn eines ist im Jahr 1933 ganz und gar sicher: Der Witz hat nicht über das Leid gesiegt.
Die Auseinandersetzung mit diesen Blättern spielt vielleicht eine doppelte Rolle. Zum einen in der retrospektiven Frage: Warum gelingt es uns so selten angemessene Bilder für das innere Wirken des deutschen Faschismus zu finden? Und zweitens für eine neue Ikonographie des Widerstands. Wir haben schließlich nicht umsonst einen gelinden Horror vor „gut gemeinter“, oder nur korrekter politischer Kunst, die immer in Gefahr ist, im tragischen Gestus auf die Ikonographie des Gegners hereinzufallen, oder im Gestus der Karikatur diesen Gegner fatal zu verkleinern oder zu vermenschlichen. Die Tragödie (sie ist manchmal nicht zu vermeiden) geht von dem aus, was Klee selber das „tödlichfaktische“ nennt: der Ausgang ist gewiss. Selbst in der Anklage mag ein Stück Unterwerfung liegen. Dass Klees Zeichnungen nicht „deutlicher“ werden (wennschon im Nachhinein einige von ihnen an Deutlichkeit nun ganz und gar nichts zu wünschen übrig lassen, da sie sich in der Folgezeit nur umso grausamer erfüllten), hat also nur einerseits mit der Geschichte eines „unpolitischen“ zu tun, der sich als Opfer zum Bewusstsein bringen musste (auch dieses Urteil könnte man übrigens noch einmal überdenken: In der Tat wollte Klee vor allem eben kein „Leitartikler“ werden). Es ist auch der Versuch, die Kunst ihrem aktuellen Gegenstand nicht zu opfern. Was tun, wenn sowohl die Tragödie als auch das Ironische als bürgerliche Notausgänge verstellt sind? Sich auf die Suche nach dem unbotmäßigen Strich machen, unter anderem.
Autor: Georg Seesslen
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