Die Entzückende
Die amerikanische Schauspielerin Michelle Williams bezaubert als Marilyn Monroe im Film «My Week with Marilyn» – und als Michelle Williams beim Pressetermin.
«Keine Fragen über Heath», sagt die strenge Dame vor der Tür, hinter der gleich Michelle Williams (33) wie eine Lichtgestalt erscheinen soll. Die Ex-Freundin von Filmstar Heath Ledger also, der 2008 tot in seiner New Yorker Wohnung gefunden wurde. Die beiden hatten sich 2004 bei den Dreharbeiten zu «Brokeback Mountain» verliebt, bald kam die kleine Matilda zur Welt, seither gelten Mutter und Tochter als die Hüterinnen von Heath Ledgers Vermächtnis, und auf youtube kursieren noch immer Tondokumente, auf denen – angeblich – Matilda mit ihrem Vater im Himmel oben spricht.
Und dann steht die Frau, um deren Ex es nicht gehen darf, endlich vor uns. Weil es um ihren Film geht. Um «My Week with Marilyn» von Simon Curtis. Ein britischer Film mit einer amerikanischen Hauptdarstellerin über einen britischen Film mit einem amerikanischen Superstar. Es war 1956, als in den Londoner Pinewood Studios Marilyn Monroes nebensächlichster und wahrscheinlich auch blödester Film gedreht wurde. Er hieß «The Prince and the Showgirl», Regie und männliche Hauptrolle gehörten einem griesgrämig vor sich hin alternden Laurence Olivier, der hoffte, an der Seite der Monroe noch einmal einen internationalen Filmhit zu landen. Es war eine Kostümklamotte zwischen einem Prinzregenten aus einem Fantasieland und einem Showgirl, die in London ein kurzes Techtelmechtel haben.
Während der Dreharbeiten will nun ein junger Mann, der für Olivier arbeitete, eine Affäre mit der Monroe gehabt haben – er hat darüber jedenfalls ein Buch geschrieben -, und diese angeblich wahre Geschichte liegt nun «My Week with Marilyn» zugrunde. Michelle Williams spielt also Marilyn Monroe, wie sie mit ihrem Dichtergatten Arthur Miller nach London kommt, wie sie als liebenswerte, liebesbedürftige und kapriziöse Hollywoodikone auf die pragmatischen braven Briten stößt – und wie all dies in einer kleinen Liebe und einem großen Ausbruch von Unglück explodiert.
«My Week with Marilyn» ist eine Episode aus dem Epos der Monroe, ein leichter, bezaubernder, perfekt geschriebener Film, Michelle Williams als Marilyn Monroe und Kenneth Branagh als Laurence Olivier füllen ihre Figuren mit einem warmen Charme, wie diese ihn im echten Leben wahrscheinlich beide nicht in diesem Ausmaß besessen haben. Das ist eine Petitesse, gewiss, aber eine schöne, und zu gerne würde man dafür wieder einmal das altmodische Wort «Juwel» verwenden.
Jetzt sitzt Michelle Williams also für knappe 18 Minuten in Berlins Prestigehotel, dem Adlon, einer Runde von zehn Journalisten gegenüber, und die älteste unter den Anwesenden sagt: «Das muss jetzt endlich mal einer sagen: Sie sind großartig als Marilyn!» Alle applaudieren. Michelle Williams grinst und wird rot. Aber recht hat die alte Dame.
Zufriedenheit ist verdächtig
Michelle Williams ist klein und fragil, mit kurzem blondem Haar, heller Haut und großem Mund. Ihre Stimme ist überraschend unsüß, ihre Bewegungen sind abrupt und eckig, sie spricht rasend schnell, doch bevor die Worte kommen, presst sich ihr ganzes Gesicht zusammen, so, als würde sie versuchen, die Gedanken aus sich herauszudrücken wie den Saft aus einer Frucht. Und immer wieder flicht sie mit den Händen seltsame kleine Käfige vor ihren Augen. Sie wirkt verdreht, gefährdet und verletzlich, aber was sie aus sich herausfeuert, ist präzis, ist genau so gewollt.
«Wegen Marilyn Monroe wurde ich Schauspielerin», sagt sie, «als Kind besaß ich dieses Foto von ihr, sie stand darauf in einer Wiese, barfuß, drehte sich um sich selbst und sah so unwahrscheinlich frei und lebendig aus. Als ich jetzt für meine Rolle recherchierte, fand ich heraus, dass sie weder frei noch voller Leben war, aber sie konnte all dies herstellen, für den Moment eines Fotos oder einer Filmaufnahme.»
Wann wusste Michelle Williams, dass sie selbst in der Lage ist, diese Momente der Verzauberung herzustellen? Zu spielen? «Nie. Ich habe noch nie das allerkleinste Fetzchen Zufriedenheit verspürt während meiner Arbeit. Ich will auch gar nie die Kontrolle über eine Rolle haben, ich will, dass die Rolle mich besitzt, dass sie mich überrascht, überwältigt. Stolz und Zufriedenheit sind mir verdächtig.»
Mit «My Week with Marilyn» geht es Michelle Williams so wie Laurence Olivier mit «The Prince and the Showgirl»: Die Aufmerksamkeit ist riesig. Denn bis jetzt profilierte sich Williams am liebsten als Arthouse-Ikone: Gemeinsam mit Heath Ledger spielte sie im Bob-Dylan-Experiment «I’m Not There» von Todd Haynes, Charlie Kaufman beschäftigte sie in «Synecdoche, New York», gleich zweimal stand sie für Kelly Reichardt vor der Kamera, einmal als Prekariats-Mädchen mit Hund in «Wendy and Lucy», einmal als zähe Siedlerin 1845 in der Wüste von Oregon in «Meek’s Cutoff».
Bei den Dreharbeiten zu «My Week with Marilyn» wurde sie, als Marilyn Monroe verkleidet, zum ersten Mal auch als Sexsymbol wahrgenommen. Wildfremde Lastwagenfahrer pfiffen hinter ihr her. Das war neu. «Ich werde schon angestarrt, aber nicht, weil die Leute mich für wahnsinnig attraktiv halten, sondern weil ich eine Celebrity bin», sagt sie. Das kann nur Koketterie sein, denn so, wie sie da sitzt, in einem seltsamen Geschwür von Raum mit düsteren Bibliotheksattrappen an den Wänden, denkt man, noch nie einem hübscheren Wesen gegenübergesessen zu haben.
Drei Oscar-Nominationen
Wie Marilyn Monroe hat sich auch Michelle Williams dem Method-Acting verschrieben, also dem möglichst realen Erleben und Durchleben einer Rolle. Für die Beziehungstragödie «Blue Valentine» – eine hoffnungsvolle Medizinstudentin verliebt sich in einen charmanten Nichtsnutz, sie bekommen ein Kind und scheitern gewaltig – lebte sie zur Vorbereitung mehrere Wochen mit Filmpartner Ryan Gosling in dem Haus, wo sie schließlich auch im Film wohnten. «Nur nachts nicht», fügt sie hinzu.
«Blue Valentine», «Brokeback Mountain» und «My Week with Marilyn» brachten ihr je eine Oscar-Nomination ein. Und was hat sie für Marilyn getan? «Alles. Ich habe alle Bücher gelesen, alle Filme gesehen, jedes Interview analysiert, ewig, ewig nach neuem Material gesucht. Und wenn jemand gekommen wäre und gesagt hätte: Ich kenn da noch einen Zauberspruch, mit dem du Marilyn näherkommst, du musst ihn aber dreißigmal rückwärts aufsagen, ich hätte es sofort getan.»
Alles begann mit «Baywatch»
Und wenn sie einmal nicht arbeitet, was tut sie da? «Nichts. Ich sitze da, mein ganzer Tag kreist darum, was ich für meine Tochter und mich zum Abendessen kochen soll, und ich lese, jetzt gerade ‹Sister Carrie› von Theodore Dreiser und ‹Blue Nights› von Joan Didion. Schon früher habe ich immer Worte großer Dichter kopiert und an die Wand gehängt, am liebsten Walt Whitman.» Früher, als sie noch an der Seite von Katie Holmes, der jetzigen Mrs. Tom Cruise, in der Teenie-Serie «Dawson’s Creek» spielte. Und vielleicht ja auch schon, als sie mit dreizehn Jahren in ihrem allerersten Auftritt vor der Kamera in «Baywatch» in einem properen Badeanzug einem Jungen den Kopf verdrehte.
Und weil das Date mit Marilyn-Michelle in Berlin nun einmal einfach viel zu kurz ist, stellen zum Schluss alle noch eine schnelle, blöde Frage. Zum Beispiel die nach ihrem Lieblingsfilm. «Oh Gott, da kommt mir immer nur der letzte Film in den Sinn, den ich mit meiner Tochter gesehen habe.» Und welchen Mann findet sie sexy? «Walt Whitman! Und überhaupt: alle mit Bärten!» Ja, ja, auch Heath Ledger hatte gelegentlich einen Bart. Aber über den haben wir jetzt wirklich nicht geredet.
Simone Meier, Tages Anzeiger 17.04.2012
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