Hollywood hat eine lange und dunkle Geschichte, wenn es um die „Vorführung“ der amerikanischen Ureinwohner geht. Mehr als vorgeführt – und das in der Regel mit einer abfälligen Attitüde – wurden sie selten. In den letzten Jahren hat sich das erfreulicherweise geändert – gelegentlich mit dem unerfreulichen Ergebnis, dass ein Übermaß an falscher Political Correctness dem jeweiligen Spielfilm alle denkbare Wirkungskraft genommen hat.
Die Gefahr bestand auch in diesem Fall, zumal neben einem „Indianer“ eine Frau auf Emanzipationskurs im Zentrum der Erzählung steht. Und, ja: Ab und an atmen einige Dialoge und Szenenfolgen doch eine arg pädagogelnde und agitatorische Behäbigkeit. Doch Drehbuchautor Steven Knight („Allied: vertraute Fremde“) und Regisseurin Susanna White („Eine zauberhafte Nanny – Knall auf Fall in ein neues Abenteuer“) bieten, in Gänze betrachtet, eine absolut sehenswerte Melange aus Fakten und Fiktion. Viele Details, die sie zeigen, entsprechen nicht den Tatsachen. Grad das ist dem Film zugute gekommen. Denn die Zuspitzung dient dem Wesentlichen, der Auseinandersetzung mit dem Mut einer Persönlichkeit, sich nicht dem Mittelmaß der gesellschaftlichen Konventionen unterzuordnen. Dadurch baut sich eine starke Spannung auf.
Die Persönlichkeit, die vorgestellt wird, ist die der Malerin Caroline Weldon (Jessica Chastain). Der Film zeigt sie als reiche Witwe in New York. 1889/90 macht sie sich zu einem Stamm der Sioux, den Lakota, auf. Sie will den berühmten Häuptling Sitting Bull (Michael Greyeyes) porträtieren. Was die feine Gesellschaft um sie herum nur schockiert. Auch in den Weiten des Westens wird die feine Lady nicht mit offenen Armen empfangen. Im Gegenteil: Sie wird mit handfester, auch brutaler Ablehnung konfrontiert. Vor allem Armeeoffizier Silas Groves (Sam Rockwell) kennt kein Pardon. Er schlägt tatsächlich zu. Der brave Bürger will nämlich Recht und Ordnung schützen, so wie die neuen Herrscher des Landes sie definieren. Was heißt: den Ureinwohnern soll auch noch das Letzte genommen werden, was sie haben – an Land, an Besitz, an Würde. Aber Caroline Weldon, im Film Catherine genannt, beißt sich durch. Wobei auch Sitting Bull erst einmal nicht mit übersprudelnder Freude reagiert. Aber sie bleibt stur. Schließlich will sie sich selbst ihre Stärke beweisen. Je mehr sie allerdings von den Lebensumständen der Ureinwohner begreift, umso mehr wächst sie über sich hinaus und wird zu einer engagierten Kämpferin für deren Rechte.
Raffinierterweise stellt uns die Geschichte die Heldin zunächst als eine mehr oder weniger überdreht anmutende Dame aus der Großstadt vor. Sie macht anfangs den Eindruck einer Frau, der es einzig und allein darauf ankommt, sich selbst zu bestätigen. Man möchte ihr als Zuschauer sagen, sie solle doch bitte auf dem Teppich bleiben. Dank der Wandlungsfähigkeit der bereits zwei Mal für den Oscar nominierten Jessica Chastain (für „The Help“ und „Zero Dark Thirty“) aber verändert sich das Bild rasch. Chastain, die im selben Moment fragil und resolut erscheint, gelingt es, den Denkprozess der Figur miterlebbar werden zu lassen. So kann man sich als Zuschauer gleichsam mit ihr entwickeln. Dank der Schauspielerin hat man also keine Chance, sich bequem zurückzulehnen und den Film als reines Abenteuer zu konsumieren. Man wird zu Haltung gezwungen, aber, da Caroline Weldon als widersprüchlicher Charakter gezeichnet wird, nicht dazu manipuliert, sich ihr von Anfang an rückhaltlos anzuschließen. So wie Jessica Chastain die Veränderung der Frau von einer doch eher naiven, selbstsüchtigen Person zur verantwortungsvollen Persönlichkeit gestaltet, wächst man im Kinosessel ganz langsam in eine von Empathie getragene Diskussion mit sich selbst hinein. Dabei kommt man rasch zu der Frage, wie man es denn im eigenen Alltag mit dem sich-Einmischen in gesellschaftliche Entwicklungen hält. Der Blick zurück in die US-amerikanische Geschichte beleuchtet also durchaus gegenwärtiges Weltgeschehen. Andernfalls wäre der Film ja auch uninteressant. So aber wird er zu einer politisch überaus aktuellen Mahnung.
Peter Claus
Bilder: © Richard Foreman/Tobis
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