Das deutsche Plakat zum Film lässt die Erwartung an eine locker-flockige Komödie aufkommen. Man sieht eine junge, attraktive Frau in aufreizend-knappen Shorts, die fröhlich ein Kind in einem Einkaufswagen durch die Gegend schiebt. Schaut man auf das Bild, fragt man sich, ob die weltweit ernsthaft geführte Diskussion um frauenfeindlichen Sexismus um Deutschland einen Bogen macht. In jeder Hinsicht ein Ärgernis!
Zum Glück entspricht das deutsche Plakat nicht dem Inhalt des Films. Denn der hat es in sich! Die beiden, Mutter und Tochter, das wird sofort mit Beginn des Films klar, leben nicht in einer heiteren Komödien-Welt. Sie hausen am Rand von Disney World und damit am Rand des Existenzminimums. Komisch ist da gar nichts. Wiewohl: Das Sozialdrama kommt ungemein energiegeladen und über weite Strecken sogar fröhlich daher. Es wird nämlich mit dem Fokus auf die rotzfreche aufgeweckte sechsjährige Moonee (Brooklynn Prince) erzählt. Für sie sind die schäbigen Hotels, die öden Parkplätze und die leeren Swimmingpools hinter allem knallbunten Kulissenzauber die schönsten Abenteuerspielplätze. Gemeinsam mit ihren Freunden Scooty (Christopher Rivera) und Dicky (Aiden Malik) gestaltet sie den Sommer zu einem amüsanten Trip durchs Land der Phantasie. Kleine Ereignisse werden zu großen Happenings: Eiscreme erbetteln, Autos anspucken, den Strom im Hotel abdrehen. Das Trio ist einfallsreich. Das ist auch Moonees Mutter Halley (Bria Vinaite). Alleinerziehend und nicht wirklich erwachsen, ist sie völlig überfordert. Finanziell jongliert sie unentwegt am Abgrund. Die Almosen der Kirche reichen nicht. Auch das Abzocken von einfältigen Urlaubern durch den Verkauf von gefälschtem Parfüm oder geklauten Tickets für Disney World bringt nicht genug. Doch Halley liebt Mooney über alles. Also verhökert sie, wenn’s gar nicht anders geht, auch mal ihren mit Tattoos ausgeschmückten Körper. Auf Dauer kann das natürlich nicht gut gehen. Momente himmelhochjauchzender Glückseligkeit und tiefster Verzweiflung wechseln einander unentwegt ab.
Disney World in Florida, USA, gilt weithin als als Freizeit-Paradies. Die Werbung und begeisterte Besucher-Berichte sprechen Bände. Dieser Film blickt auf die Schatten des Paradieses. Autor und Regisseur Sean Baker („Tangerine L.A.“) macht das mit sanftem Fingerspitzengefühl. Als Zuschauer durchlebt man ein rasantes Wechselbad der Gefühle. Sean Baker versteht es dabei virtuos, die Kraft des menschlichen Miteinanders zu beschwören, zu zeigen, dass Menschen, wenn sie einander wirklich beistehen, auch schlimme Situationen meistern können. Dabei verharmlost er nichts, flüchtet auch nie in Sentimentalität. Die in langen Kamerafahrten festgehaltene Realität mutet so dreckig und inhuman an, wie sie wirklich ist. Doch Sean Baker steht auf der Seite seiner Heldinnen und betont deren Stärken, wenn er sie als unbeugsame Überlebenskünstlerinnen zeigt. Er belässt Halley und Moonee eine ganz wunderbare Würde, indem er sie noch in den dunkelsten Momenten als von Innen heraus strahlende Persönlichkeiten zeigt. Wobei es nie kitschig wird. Doch die spürbar unzerstörbare Liebe von Mutter und Tochter, ihre unerschütterliche Verbundenheit, hat einen so starken Zauber, dass die schmutzige Wirklichkeit gelegentlich in den Hintergrund rückt.
Zur Wirklichkeit gehört das Motel namens „Magic Castle“, in dem die zwei wohnen. Hier kann von Zauber nicht die Rede sein. Aber hier findet sich Menschlichkeit. Bobby, der Manager, Handwerker und das Mädchen für alles im Motel, hält sie hoch. Willem Dafoe gibt dieser Figur mit kauzigem Humor und charakterlicher Geradlinigkeit eine große Herzenswärme. Der Schauspielstar spielt hier eine der schönsten Rollen seiner Karriere. Manchmal hat man als Zuschauer den Eindruck, er fordere einen direkt auf, selbst aktiv zu werden, für gesellschaftliche Veränderungen zu kämpfen. Da wird der Film dann zum schönen Beispiel für die politischen Wirkungsmöglichkeiten von Unterhaltung.
Peter Claus
Bilder: © Fox
The Florida Project, von Sean Baker (USA 2017)
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