Erst vor wenigen Monaten ist in Deutschland der bisher letzte Spielfilm des Japaners SABU in die Kinos gekommen: „Mr. Long“. Die Ballade um einen Profikiller in Bedrängnis punktete – neben der originellen Story – mit gestalterischer Raffinesse.
Die bestimmt ebenso, dieses, davor entstandene, Drama. Auch in „Happiness“ wird das Publikum mit formaler Eleganz geradezu überrumpelt. Doch SABU erzählt nicht, wie in seinem „Mr. Long“, in einem elegischen Ton. Die Sprache ist kalt, auch zynisch.
Schon der Auftakt des Films macht klar, dass in dieser Geschichte erst einmal nichts klar ist. Weder wird die Zeit konkret eingegrenzt, noch der Ort genau benannt. Die Handlung ereignet sich irgendwo, und in diesen Tagen, in einem Provinzkaff. Da steigt ein Mann aus einem Bus. Als Zuschauer weiß man nichts über sein Woher und Wohin. Schweigend läuft er mit einem etwas sperrigen Handkoffer durch die Gegend. Nicht von ungefähr erinnert das an Muster, die aus dem Western bekannt sind. Und tatsächlich ist dieser Kanzaki (Masatoshi Nagase) so etwas wie ein Rächer. Wobei er erst einmal als Wohltäter auftritt. In dem Ort herrscht eine enorme Antriebslosigkeit. Jede und jeder scheint in Melancholie, wenn nicht gar in Depression versunken zu sein. Packt der Mann seinen Koffer aus, ändert sich das. In seinem Koffer ist nämlich ein Helm, von außen versehen mit Drehknöpfen und Kolben, der „Wunder“ bewirken kann. Setzt sich jemand den Helm auf, durchlebt sie oder er plötzlich den schönsten Moment ihres bzw. seines Lebens. Herrscht dem Mann mit dem Koffer gegenüber zunächst Misstrauen, wird er bald zu einer Art Heilsbringer stilisiert. Aber schließlich packt er wirklich aus – und ein Horrorszenario geht seinen blutigen Gang …
Ein wesentlicher Reiz des Films liegt darin, dass lange nicht klar ist, wo der Hase im Pfeffer liegt. Ganz ruhig, ganz bedachtsam wird Kanzakis Treiben beobachtet. Es gibt weder rasche Schnitte noch dräuende Musik. SABU feiert die Lust am Geheimnisvollen. Da hat man denn als Kinobesucher reichlich Zeit, sich einzubringen. Als erstes fragt man sich, ob man sich auch unter den Helm begeben sollte. Wie sieht es im eigenen Leben aus? Daraus erwächst dann die eigentliche Frage, um die sich der Film dreht: Sind wir in der Lage, dann, wenn wir glücklich sind, dies zu erkennen?
Inhaltlich und formal wird also eine originelle Auseinandersetzung mit dem menschlichen Wesen an sich geboten. Da der Mensch bekanntlich die Bestie schlechthin ist, muss das natürlich in Gewalt münden. Die stellt SABU denn auch überdeutlich aus. Es mangelt nicht an Schockmomenten. Das führt dazu, dass man den Film schließlich auch in die Schublade „Thriller“ stecken kann. Genauso gut ist er als rabenschwarzes Märchen zu deuten. Und schon ist man dabei, ihn als Parabel auf die bürgerliche Gesellschaft zu verstehen. Denn Märchen sind ja in der Regel nichts anderes. Tatsächlich demaskiert SABU die sich in der Flut an verkauften Glücksversprechen manifestierende Oberflächlichkeit unseres Hier und Heute: Lug und Trug als Profitgaranten. Wer drauf reinfällt, kann nur im Chaos enden.
SABU heißt mit bürgerlichem Namen Hiroyuki Tanaka. Vor drei Jahrzehnten startete er eine erfolgversprechende Karriere als Schauspieler, agiert auch heute noch gelegentlich vor der Kamera. Seit 20 Jahren jedoch arbeitet er hauptsächlich als Autor und Regisseur und verwendet ausschließlich das Pseudonym SABU. Dieser Künstlername geht zurück auf einen Charakter dieses Namens, den Hiroyuki Tanaka in den frühen 1990er Jahren in einem Spielfilm verkörperte. Sein Markenzeichen als Autor und Regisseur: ein Erzählstil fern der Standards des normierten Erzählkinos. Bei ihm wird dem Publikum nichts vorgekaut. Figuren und Ereignisse haben immer ein Höchstmaß an Geheimnissen. Das ist so faszinierend wie anregend.
Peter Claus
Bilder: © Rapid Eye Movies | Happiness von Sabu
Happiness, von SABU (Japan 2016)
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