Gegen das Vergessen
Die Schrecken der Wirklichkeit spiegelt die Kunst am besten, wenn sie gar nicht erst versucht, diese Schrecken eins zu eins abzubilden. Man muss nicht gleich Picassos Bild „Guernica“ heranziehen, um das zu beweisen. Wiewohl: dieses Bild belegt das schon sehr eindringlich. Auch das Kino hat Beispiele dafür, positive und negative. Auf der Positivseite stehen zum Beispiel „Der englische Patient“ und „Casablanca“, auf der Negativseite findet sich „The Cut“
Mit „The Cut“ hat der deutsche Regisseur Fatih Akin versucht, den Genozid an den Armeniern während des Ersten Weltkriegs, im damaligen Osmanischen Reich, zu spiegeln. Das Motiv der Anklage war deutlich bei ihm zu spüren. Doch weil viel zu deutlich, weil zu sehr darauf aus, das Geschehen geradezu schulbuchtauglich zu spiegeln, missriet der Film in hohem Maße. Der nordirische Regisseur Terry George („Hotel Ruanda“) hat sich Akins ehrenwerten, jedoch wirklich nicht gelungenen Film sicherlich angesehen. Denn in „The Promise“ nimmt er sich des gleichen Themas an. Und zunächst sieht es so aus, als habe er aus Akins Fehler gelernt: Er blättert erst einmal keinen Katalog des Schreckens auf. Handfestes Genrekino wird geboten. Eine Lovestory. Der Völkermord wird darüber gespiegelt. Klug so. Ein Abrutschen ins Seichte und Sentimentale wird so verhindert. Doch leider nicht auf der gesamte Länge des Films. Der beginnt 1914 in Konstantinopel: Der Armenier Mikael (Oscar Isaac) kommt in die Hauptstadt des Osmanischen Reiches, um ein guter Arzt zu werden. Er ist hoffnungsvoll. Auch privat scheint seine Zukunft gesichert zu sein. Denn daheim wartet seine Verlobte Maral (Angela Sarafyan). Doch in der großen Stadt wird alles anders. Mikael verliebt sich nämlich in Ana (Charlotte Le Bon), eine moderne Frau mit armenischen Vorfahren, ein Freigeist. Obwohl sie mit dem US-amerikanischen Journalisten Chris (Christian Bale) zusammen ist, erwidert sie Mikaels Gefühle. Dann beginnt der Erste Weltkrieg. Und im osmanischen Reich hebt die Menschenjagd auf die Armenier an. Mikael wird als Zwangsarbeiter in ein Gefangenenlager verschleppt. Ana und Chris glauben Mikael verloren. Auch sie müssen Furchtbares erdulden. Wird es ein Wiedersehen geben? Und wo bleibt die Liebe im Weltenbrand?
Ilsa Lund und Rick Blaine treffen sich mitten im Zweiten Weltkrieg in „Casablanca“ wieder. Als Zuschauer ist man davon gefangen, weil es der Kampf um ihre Gefühle ist, der mitzieht. Die Historie, immer präsent, immer spürbar, bleibt erzählerisch im Hintergrund, wird über kleine Momentaufnahmen eingefangen, wie das Singen der Marseillease, Streiflichter auf Flüchtlingsschicksale, die Präsenz der politischen Feinde. Gefahr für die Freiheit, des Einzelnen und des Denkens, lauert immer und allüberall. Leider vertraut Terry George nicht auf eine solche Erzählmethode. Er zeigt, er sagt in vielen Dialogen, was Sache ist, und wird dadurch lehrbuchhaft, mutet bemüht aufklärerisch an. Worunter die Spannung leidet. Aber es gibt auch viele starke Augenblicke. Daran haben die Schauspieler einen großen Anteil. Zwischen ihnen stimmt die Chemie. Man glaubt jede Gefühlsaufwallung, glaubt jeden Schritt, jedes Wanken. Wobei Christan Bale die stärkste Präsenz hat. Ihm gelingt eine verblüffend facettenreiche Charakterstudie. Sein Chris prägt sich besonders ein, weil Bale ihn nicht als Held ohne Fehl und Tadel zeigt, sondern als zwiespältigen, gelegentlich auch unsympathischen Mann. Und es gibt es einzelne Szenen, deren Wucht sich wohl niemand entziehen kann, Szenen, die mit Überhöhung, mit Metaphern arbeiten. Die stärkste: Eine Gruppe gefangener Armenier streckt die Hände, nach Freiheit gierend, durch die Gitter eines Eisenbahnwaggons …
Im Film-Finale steht ein alter Mann, Jahrzehnte später, in einem Garten, irgendwo in den USA, und erinnert sich an das Leid des armenischen Volkes. Das mutet zunächst pathetisch an. Doch die Gegenwart zeigt, wie wichtig das Bewusstsein für die Historie ist: Als der Film vor knapp einem Jahr beim Filmfestival in Toronto uraufgeführt wurde, gab es dort enorm viel Beifall und Zuspruch, gar stehenden Ovationen.
Doch nur Minuten später tauchten im Internet mehr als viertausend negative Bewertungen des Films auf. In den Tagen darauf kamen weitere dazu. Die Zahl der Wertenden überstieg jedoch die Zahl derer, die das Drama schon hatten sehen können, um ein Vielfaches. Es handelte sich um eine gezielte Kampagne gegen den Film, gesteuert aus der Türkei. Die dortige Regierung leugnet allen belegten Fakten zum Trotz noch immer den Genozid an den Armeniern im Vorgängerstaat, dem Osmanischen Reich. Allein das zeigt, wie wichtig das Erinnern ist. Und dazu kann das Kino Entscheidendes beitragen. Man wünscht sich allerdings zum Thema etwas so Starkes wie zum Beispiel „Schindlers Liste“ über den Holocoust. Nur wissen wir allerdings auch, wie viele zum Teil sehr schlechte Filme über den Nazi-Wahnsinn diesem einen Meisterwerk vorausgegangen sind.
Peter Claus
Bilder: © Capelight Pictures
The Promise – Die Erinnerung bleibt, von Terry George (USA / Spanien, 2017)
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