Spielfilme übers Showgeschäft erzählen gern Geschichten, in denen die Schattenseiten des Lebens im Banne des Scheinwerferlichts beleuchtet werden. Das ist gern grell. In diesem Fall wird derlei Kritisches allenfalls leise, wie nebenbei, reflektiert. Beim Sehen des Films merkt man’s kaum. Doch im Nachhinein sind es auch die kleinen, feinen Seitenhiebe gegen Lug und Trug in der Branche, die haften bleiben.
Erst mal aber wird ein sattes Kinomärchen geboten. Man darf ins Taschentuch schneuzen, mal vor Rührung, mal weil die Lachtränen fließen. In Stichworten klingt die Story nach Drei-Groschen-Heft. Protagonistin ist eine Frau mit mädchenhafter Anmut. Liliane heißt sie. Schnell ist klar: Diese Frau, vielleicht Anfang, vielleicht Mitte 50, dämmert in einer Art Dornröschenschlaf vor sich hin. Früher war das mal anders, als sie jung war. Damals wurde sie als Schlagerstar namens Laura hofiert und gefeiert. Doch die Karriere war kurz, sehr kurz. Seit vielen Jahren schon schuftet sie in einer Fabrik. Verlorene Jahre. Sie lebt allein. An ihrer Seite hat sie nur Freund Alkohol. Mit dem hangelt sie sich allabendlich daheim durch triste Stunden vor dem Fernsehgerät. Ein Dasein in Grau. Doch ein Prinz verirrt sich in die Fabrikhalle, wo Liliane Tag für Tag Fertigkost garniert. Endlich kommt Farbe in ihr Leben. Denn der junge Mann, der ihr Sohn sein könnte, erkennt nicht nur Laura in Liliane, er sieht in ihr auch die Frau seines Lebens. Bisher hat dieser Jean (Kévin Azaïs) aus der Vorstadtsiedlung von einer Karriere als Profiboxer geträumt. Jetzt träumt er nur noch von Liliane. Und er lässt nicht locker, wie heftig sie auch bestreitet, Laura zu sein. Er hat Erfolg. Die Schöne ergibt sich seinem Werben, nicht nur persönlich. Sie stimmt auch zu, dass er sich vom Sport verabschiedet und dem Showbusiness zuwendet, ihr Manager wird. Seine Leidenschaft kennt keine Grenzen. Tatsächlich gelingt es ihm, Laura Auftritte zu verschaffen. Die Zwei sind miteinander glücklich und es sieht auch ganz danach aus, als könne dem Comeback der Sängerin ein dauerhafter Erfolg beschieden sein. Das Happy End scheint greifbar nah. Doch wie’s in vielen Märchen ist: Die Wirklichkeit hat keine Zeit und keinen Raum für Wunder.
Isabelle Huppert gibt der Protagonistin eine schöne Authentizität. Die weltweit geschätzte Charakterdarstellerin, meist in harten, nach Anspruch strebenden Dramen zu sehen, zeigt ihr ganzes Können: Anfangs verkörpert sie die unscheinbare Arbeiterin Liliane mit glaubwürdiger Schlichtheit. Sie schenkt ihr eine sanfte Würde, so dass man diese Frau, auch wenn sie trunken vor der Glotze vor sich hinstarrt, sofort ins Zuschauerherz schließt. Man versteht auch, warum Liliane nichts mehr von Laura wissen will, vom einstigen Erfolg, der bis zum Grand Prix Eurovision de la Chanson geführt hatte. Gewonnen hat sie damals nicht. Womit der Abstieg ins Vergessen begann. Klar, dass Liliane davon nichts mehr wissen will. Eine Demütigung reicht. Doch Huppert gelingt es auch, dass Wiedererwachen Lauras absolut nachvollziehbar zu gestalten. Was nicht ad hoc geschieht. Liliane weiß um den Altersunterschied zu Jean, sie kennt ihr Alkoholproblem, und sie hat natürlich Angst vor der ihr bekannten Härte des Showgeschäfts. Mit kleinen Gesten, ohne auch nur einmal ins Laute, ins Theatralische zu verfallen, macht Isabelle Huppert die Selbstzweifel und die inneren Kämpfe Lilianes / Lauras deutlich. Doch sie zeigt auch, dass die Liebe wohl wirklich eine Himmelsmacht sein kann. Und sie zeigt, wie leicht man im teuflisch vertrackten Alltag ins Stolpern geraten kann.
Inszeniert hat der belgische Regisseur Bavo Defurne, es ist sein zweiter abendfüllender Spielfilm. Den hat er ganz auf seine Hauptdarstellerin zugeschnitten. Er lässt sie brillieren, bringt sie zum Strahlen. Isabelle Huppert strahlt eine flirrende Erotik aus. Stilistisch wagt Defurne einen Drahtseilakt zwischen Kunst und Kitsch, Lachen und Weinen, Realismus und Traumfabrik-Schick. Visuell ist das schlichtweg hinreißend. Kameraperspektiven, die Lichtgestaltung, der Rhythmus sorgen dafür, dass man als Zuschauer regelrecht in die Geschichte hineinkriechen möchte. Wenn hier Gefühle toben, dann in den schönsten Kino-Farben. Und wenn Isabelle Huppert singt, reizen sie und der Regisseur das bis zum Grotesken aus, ohne die Figur zu beschädigen.
Kinokenner entdecken übrigens manchen Verweis auf berühmte Leinwandliebespaare, vor allem aus Hollywood, aber auch aus dem französischen Kino. Da wird der Film denn auch zur Hommage an den klassischen Kintopp – und das Vergnügen für Fans so richtig rund.
Peter Claus
Bilder: © Alamode Film / Fabrizio Maltese
Ein Chanson für Dich, von Bavo Defurne (Frankreich / Belgien / Luxemburg 2016)
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