Der katalanische Regisseur Albert Serra ist ein Liebling von Kritikern und Festivalveranstaltern. Das Publikum rennt allerdings bisher nicht grad in Strömen in seine Filme. Was in diesem Fall anders sein sollte. Denn diese Elegie um das Grauen des Sterbens – und damit die Schönheit des Lebens – ist absolut herausragend.
Nein, Action wird nicht geboten, keine Kriminalgeschichte, nicht mal ein Blick durchs Schlüsselloch der Geschichte. Hier wird nichts enthüllt. Historiker bestätigen, dass der Film nur erzählt, was war. Das Drehbuch basiert auf gründlichen Recherchen, ausführlichem Faktenstudium. Entscheidender ist: große Form wird geboten, faszinierend in der visuellen Gestaltung, auf der Tonebene, durch das Schauspiel.
Erzählt wird vom wochenlangen Dahinsiechen des Sonnenkönigs, Ludwig XIV., im Spätsommer 1715. Der Mann verfault. Die Ärzte und Lakaien können nicht helfen. Sie sind schlichtweg unfähig. Die Stunde eines Quacksalbers schlägt. Ludwig trägt’s mit Contenance, mit Selbstbeherrschung, ab und an erlaubt er sich kleine Fluchten ins Kindliche. Der Monarch, der sich über Jahrzehnte gottgleich wähnte, wird damit konfrontiert, dass auch er nichts anderes ist als ein ganz gewöhnlicher Mensch. Im Geiste gefangen im selbst geschaffenen Bild voll Glanz und Gloria stürzt der Körper unaufhaltsam ins Nichts.
Auf der Metaebene ist das eine kluge und spannende Auseinandersetzung mit verschiedenen Fragen: Wie ist das, wenn sich ein Mächtiger für außergewöhnlich hält und dann seine Nicht-Bedeutung einsehen muss? Kann man sich aufs Sterben vorbereiten? Was bedeuten persönliche und öffentliche Regeln für den Einzelnen und für die Gesellschaft? Vor allem mit der letzten Frage weist der Film weit über Ludwig hinaus – direkt in unsere Gegenwart.
Faszinierend: Serras Gestaltungswille, wie er den konsequent umsetzt. Nichts da von Prunk, wiewohl der höfische Pomp gezeigt wird. Entscheidend: die Konzentration auf die Charaktere. Da braucht’s nur wenige Worte. Reif komponierte Bilder und pointiert eingesetzte Töne – am Anfang etwa wird das Rattern einer Kutsche zum Menetekel – fesseln. Und: Jean-Pierre Léaud als Ludwig XIV. Man meint, er denke nicht allein über die Rolle Ludwigs nach, sondern auch über seine als König des Kinos. Das ist natürlich eine Interpretation. Die allerdings wird durch Léauds Präsenz angeheizt. Ihm genügen Minimal-Gesten, um in die Seele des Strebenden schauen zu lassen, um die Phnatasie des Publikums anzuregen, um sich in die Filmhistorie einzuschreiben. Léaud macht den Film endgültig zum Meisterwerk. Man schaue ihm nur tief in die Augen!
Bilder: Grandfilm
Der Tod von Ludwig XIV., von Albert Serra (Frankreich / Spanien / Portugal / 2016)
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