Draußen ist Krieg. Und drinnen, in den Häusern, in den Menschen? Sechs Personen haben sich verbarrikadiert. Sie sind unterschiedlichen Alters, haben verschiedene Erfahrungen. Sie eint: die Angst.
Das Geschehen ereignet sich in einer kleinen Wohnung im zweiten Stock eines Mehrfamilienhauses. In Syrien. Draußen tobt das Morden. Weitere Schutzsuchende samt einem kleinen Baby stoßen zu der Familie. Es gibt kein frisches Wasser, Internet und Telefon funktionieren nur sporadisch, genau wie die Energieversorgung. Und vor dem Haus? „Vergiss die Welt da draußen. Sie zählt nicht mehr“, sagt jemand. Doch so einfach ist das nicht. Oum Yazan (Hiam Abbas), die tonangebende Mutterfigur, will nicht aufgeben. Sie setzt hinter den zugezogenen Fenstern verbissen auf den Sieg der Vernunft. Sie hofft. Doch sie zweifelt auch. Man sieht ihr an, dass auch ihre Angst zunimmt, von Stunde zu Stunde.
Regisseur Philippe Van Leeuw setzt auf eine lakonische Sicht auf das Geschehen. Der Krieg ist präsent, ist zu hören, unentwegt. Das reicht. Die kleine Wohnung wird zum Symbol menschlichen Durchhaltewillens. Ein Rettungsboot? Ein Mal nur geht die Kamera nach draußen. Was eine Frage setzt: Ist es nicht vielleicht das Beste, die Augen und die Ohren vor der Realität zu verschließen?
Philippe Van Leeuw, selbst ein erfahrener Kameramann, erzählt in suggestiven Bildern, die ihm seine Kollegin Virginie Surdej geschaffen hat. Ihre Kamera arbeitet detektivisch, erspürt die Schrecken des Krieges überall, durch Kleinigkeiten, wie altes Spielzeug, Lichtreflexionen, Haushaltsgegenstände. Ganz klar also: Es gibt kein Entrinnen.
Im Verlauf der Handlung kommt es zu einer dramatischen Zuspitzung, die hier nicht verraten werden darf. Gesagt werden kann: Die Protagonisten müssen sich entscheiden, müssen wählen zwischen Wegsehen & Weghören und Handeln. Damit stehen plötzlich bleischwere moralische Fragen im Raum. Greifbare Fragen. Die Antworten darauf muss jeder Zuschauer für sich selbst finden.
Die ausgefeilte visuelle Gestaltung und das konzentrierte Spiel des von Hiam Abbas angeführten Darstellerensembles führen das Publikum dicht an die Figuren. Man muss Partei ergreifen. Dadurch erlebt man zumindest ansatzweise mit, was „Kampf ums Überleben“ bedeuten kann. Die daraus resultierende Kunst-Erfahrung spiegelt viele Lebenssituationen, auch solche in weit weniger extremen Situationen, in friedlichen Zeiten, an ruhigen Orten.
Peter Claus
Bilder: © Weltkino
Innen Leben, von Philippe Van Leeuw (Belgien / Frankreich / Libanon 2017)
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