Seine größten Erfolge hat der deutsche Regisseur Volker Schlöndorff mit Literatur-Adaptionen errungen, etwa mit „Die verlorene Ehre der Katharina Blum“ nach Heinrich Böll, „Die Blechtrommel“ nach Günter Grass und „Homo Faber“ nach Max Frisch. Nun hat er sich erneut von einem Werk Max Frischs anregen lassen, von der Erzählung „Montauk“.
Volker Schlöndorff hat in vielen Interviews betont, dass es sich nicht um eine Verfilmung der Erzählung handelt, sondern um eine eigene Geschichte, zu der er sich von Frisch hat anregen lassen und vor dem er sich mit diesem Film auch verbeugen möchte.
Tatsächlich aber ist vom Kern, vom Gehalt, der Erzählung einiges erhalten. Das gleich am Anfang, wenn die Hauptfigur, der Schriftsteller Max, aus einem seiner Werke zitiert und dabei vor allem über sich selbst spricht. „Ich, ich, ich“, so scheint er unentwegt zu rufen. Sofort ist klar, dieser Max ist ein Mann, der, wenn er etwa jemandem anderes sagt, „Ich liebe Dich“, immer nur sich selbst anspricht. Wenn er bei einer Reise nach New York und dann bei einem Trip von dort in die Küstenstadt Montauk, eine Ex-Geliebte wieder erobern will, will er sich doch lediglich vergewissern, was für ein toller Hecht er ist. Er hält sich dabei für sehr klug, doch er ist es nicht, sie ist es, indem sie ihm letztlich eine Abfuhr erteilt.
Schlöndorffs Film zeichnet das Porträt dieses ich-bezogenen Künstlers mit schonungsloser Offenheit – da ist er ganz bei Frisch. Wobei ich es als besonders erstaunenswert empfinde, wie deutlich der Film auch ein gar wenig schmeichelhaftes Selbstporträt von Volker Schlöndorff selbst ist. Das ist mutig von ihm.
Auch die Inszenierung ist mutig, indem sie auf alle äußere Modernität verzichtet, auf Tricks wie Rückblenden oder große innere Monologe. Volker Schlöndorff erzählt schnörkellos, ohne Effekthascherei, sehr leise, sehr ruhig. Er konzentriert sich ganz auf die Figuren – den Schriftsteller, seine Ex-Freundin, eine erfolgreiche Juristin, und seine junge Frau. Es ist ein langer ruhiger Exkurs in das Innere eines Mannes, der erkennt, dass er ein Fossil ist, der das aber natürlich nicht wahr haben will – und der nicht den Funken einer Idee hat, wie er sich ändern könnte.
Mutig dabei ist auch: Volker Schlöndorff, Drehbuchmitautor und Regisseur, offeriert etwas, was längst aus der Mode gekommen ist: Autorenkino pur, einen Film, dem spürbar sehr viel Nachdenken voraus gegangen ist, und der beim Publikum Nachdenken auslösen möchte.
Uraufgeführt wurde „Rückkehr nach Montauk“ im Februar auf der Berlinale. Einen Preis erhielt er nicht, dafür sehr kontroverse Reaktionen von Kritikerinnen und Kritikern. Zum Start gab es einige heftige Verrisse, aber auch viel Zustimmung. Ich schätze den Film, weil er sich nicht schlaumeierisch gibt, den Protagonisten nicht verurteilt und weil er nicht überdeutlich sagt, „Schaut her, der Mann ist ein Trottel!“ – sondern weil er sagt, schaut Euch den Mann genau an, er ist einer von vielen, und es gibt viel zu wenige Frauen, wie die in dieser Geschichte, die sich neben so einem behaupten können, die dabei sie selbst bleiben, sich nicht unterbuttern lassen. Gerade weil der Film sich einem vordergründigen emanzipatorischen Plädoyer – nach dem Motto, „Frauen und Männer sind gleichberechtigt, wir müssen die Macho-Fossilien, wenn nicht gleich vernichten, so doch umerziehen“ – verweigert, ist er wirkungsvoll.
Nina Hose und Stellan Skarsgård in den Hauptrollen, und die bisher vor allem durchs Theater bekannt gewordene Susanne Wolff als Max’ Frau Clara, tragen den Film weitestgehend auf ihren Schultern. Sie alle agieren präzise, durchaus mit Ironie, nähern sich dem Mann von Gestern oft mit einem Schmunzeln – und schaffen es dadurch, das Publikum ganz nah an die Figuren heran zu holen. Stellan Skarsgård gelingt dabei die verblüffendste Leistung: er verkörpert den Egomanen mit viel Verve. Er wirkt sympathisch, und verständlich wird, wie schwer es ihm (als Kind einer Zeit mit uns heute völlig überholt anmutenden Rollenmustern) fällt, im Hier und Heute anzukommen. Und da ist man als Zuschauer dann auch ganz schnell bei sich selbst, weil der Gedankenreichtum der Filmerzählung über die Story an sich hinausweist – man fragt sich etwa, wie man selbst eigentlich mit den Menschen um sich herum so umgeht. Wie leicht oder schwer man sich damit tut, älter zu werden. – Der Film bietet reichlich Stoff zum Nachdenken.
Ich empfehle den Film niemandem, der sein Gehirn beim Kinobesuch abschaltet, auch niemandem, der Herzklopfen nur dann bekommt, wenn schluchzende Geigen den Rhythmus angeben – und erst recht niemandem, der über Menschen urteilt und dabei seine Verurteilungsmuster als Maßstab nimmt.
Ich empfehle den Film Leuten, die offenen Herzens und Geistes sind, und die Kunst gern als Anregung nehmen, über das Leben nachzudenken – und dabei sich selbst und die eigenen Regeln nicht für das A und O halten.
Peter Claus
Bilder: © Wild Bunch Germany
Rückkehr nach Montauk, von Volker Schlöndorff (Deutschland / Frankreich / Irland 2017)
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