Heute ist sie weltberühmt. Zeit ihres viel zu kurzen Lebens hat sie vergeblich um Anerkennung gerungen: Paula Modersohn-Becker (1876 – 1907). Nun also zollt ihr ein deutscher Spielfilm Tribut. Und man darf staunen: handfestes Kino wird geboten, kein Pamphlet, kein Denkmal. Es darf mitgefühlt werden, auch -gelitten, auch -gejubelt. Wunderbar!
Paula Becker wurde 1876 in Dresden geboren, verbrachte die Jugend in Bremen, heiratete den verwitweten Maler Otto Modersohn. Sie wollte ihm eine gute Weggefährtin sein und seiner Tochter aus erster Ehe eine gute Mutter. Und sie wollte Erfolg als Malerin. Und sie wollte ein eigenes Kind. Sie wollte zu viel. Kurz nach der Geburt ihrer Tochter Mathilde ist sie 1907 mit 31 Jahren in Worpswede gestorben. Hinterlassen hat sie ein umfangreiches Werk an Gemälden, Zeichnungen und Radierungen. Jahre nach ihrem Tod wurde sie anerkannt und 1927 schließlich in Bremen mit einem eigenen Museum geehrt. Doch die Nazis haben ihre Kunst ins Vergessen gestoßen, indem sie die auf den ersten Blick naiv anmutenden Bilder von Landbewohnern oder Natureindrücken, die noch impressionistisch geprägt sind, aber auch schon Züge des Expressionismus zeigen, als „entartete Kunst“ verleumdeten. Erst in den letzten zwei bis drei Jahrzehnten hat sie die Anerkennung gefunden, die Paula zeitlebens verweigert worden war.
Man ahnt, was für ein argumentativ starkes Emanzipationsstück manche Filmkünstler aus dem Stoff, den die Wirklichkeit hier überliefert hat, errungen hätten. Es drängt sich ja geradezu auf: Eine Frau, unterdrückt von den Männern, vom eigenen Gatten unverstanden, kann sich weder privat noch beruflich frei entfalten.
Dieser Film aber ist anders. Die Geschichte des Emanzipationsversuchs wird mit erzählt, und das angenehm beiläufig. Das Hauptaugenmerk gilt Paula (Carla Juri) selbst. Erst ist sie ein unbekümmerter Backfisch, probiert sich aus. Dann ist sie die von Selbstzweifel Getriebene, auch die von den Männern, die Frauen allenfalls das Recht auf’s Kinderkriegen zugestehen. Eine Missachtete. Später dann die Aufsässige, die Störrische, gar Egoistische, schließlich die dem Alltag fast entrückte Künstlerin. Eine Heldin sieht anders aus. Gut so. Paula Modersohn-Becker wird nicht zur Kunstfigur stilisiert, wird nicht auf einen Sockel gehoben. Sie wird als Mensch geradezu greifbar. Es gibt Szenen, etwa Auseinandersetzungen mit ihrem Mann (Albrecht Schuch), da meint man, ihren Angstschweiß zu riechen. Und dann wieder sind da Momente, etwa, wenn sie mit dem Geliebten George (Stanley Weber) in Paris zusammen ist, die eine fast schon pornographisch anmutende Lust ausstrahlen, wiewohl dem Zuschauer keinerlei anstößige Aufnahmen zugemutet werden. Hauptdarstellerin Carla Juri vollbringt dieses kleine Kino-Wunder. In jeder Szene – und ihr gehören nahezu alle Szenen des Films – strahlt sie zugleich Verletzlichkeit, Würde, Starrsinn, Humor, Ängstlichkeit, Stolz, Sehnsucht nach dem nicht Benennbaren aus. Ihre Paula lodert. Manchmal möchte man sie tröstend umarmen, dann wieder schelten. Auch schütteln, etwa wenn sie mit Otto, dem Gatten, der ihre Kunst nicht begreift und sie selbst auch nicht, sich aber vor Liebe nach ihr verzehrt, der so gern helfen möchte und auch hilft, umgeht, als wär’ er ein dummer Junge. Carla Juri, die schon vor drei Jahren in der Romanadaption „Feuchtgebiete“ als sensible Charakterinterpretin überzeugt hat, fesselt allein durch ihre Präsenz. Manchmal scheint’s, als sei ihre Paula aus Glas, um dann, gleichsam im Handumdrehen, zur eisernen und verbiesterten Furie zu werden. Juri zeigt all das und noch mehr ganz ruhig, nie hysterisch, so, als stünde sie immer auch ein wenig neben der Figur. Das ist von verblüffender Wirkung, sorgt für einen starken Sog in den Film, packt einen. Freilich: Wer die Handlung des Films mit den Lebensdaten von Paula Modersohn-Becker abgleicht, stellt fest, dass von den Filmemachern vieles verknappt, zeitlich gerafft, erfunden wurde. Der Film bietet keine der Wahrheit verpflichtete Biografie. Gerade deshalb wirkt er wahrhaftig. Die Phantasie triumphiert. Die Kunst darf sich solche Freiheiten nehmen, ja, muss es. Das Wesentliche steckt nicht in den Fakten.
Oft geradezu überwältigend ist die visuelle Gestaltung. Nur ein Bild als Beispiel: Paula bricht aus der Enge des Daseins. Es ist Winter. Schnee und Eis beherrschen die karge Landschaft. Die Reisende zieht schwer an ihrem Gepäck. Sie hinterlässt eine dunkle Spur im Schnee. Dennoch wirkt sie leichtfüßig. Das Ziel: Paris. Dort will sie die persönliche und künstlerische Freiheit finden. – So überdeutlich wie in dieser Szene wird selten vom Ringen der Hauptfigur erzählt. Regisseur Christian Schwochow („Novemberkind“), sein Drehbuchautoren-Duo Stefan Kolditz („Nackt unter Wölfen“) und der vom Theater bekannte Stephan Suschke setzen ansonsten eher auf verhaltene, hintergründige Bilder und Dialoge, um Stationen aus dem viel zu kurzen Leben der Malerin Paula Modersohn-Becker zu illustrieren und, dabei sehr dezent, zu kommentieren. Wobei man als Zuschauer kein Kunstexperte sein muss, ja, man muss nicht einmal auch nur eines ihrer Bilder kennen. Die Eigenwilligkeit dieser Künstlerin teilt sich auch so unumwunden mit. Die Inszenierung von Regisseur Schwochow mutet entsprechend einfühlsam an. Spielerisch leicht, durchweg mehr auf Atmosphäre denn „Action“ bauend, zeichnet er neben dem feinnervigen Porträt der Künstlerin auch den von patriarchalischen Strukturen und engstirnigem Denken geprägten Alltag im Deutschland um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert. Wobei das angenehm zurückhaltend geschieht. Entscheidend für die Wirkung des Films ist, dass Schwochow die Bilder nicht mit der sonst oft üblichen Musik-Soße zugeschüttet hat. Man darf als Zuschauer zum Beispiel geradezu ungestört in die gelegentlich regelrecht bizarr anmutende Moorlandschaft um Worpswede eintauchen. Die Bilder, von Kameramann Frank Lamm und Cutter Jens Klüber sorgsam komponiert, werden wirklich zu Spiegeln von Paulas Charakter. Schön dabei: Es wurde nicht versucht, Bilder von Paula Modersohn-Becker nachzustellen. Man hat eine eigene Bildwelt entworfen, die der ihren allerdings stilistisch nahe kommt, sich durch Klarheit und pointierte Blickwinkel auszeichnet. So kommt man Paula Modersohn-Becker wirklich nah.
Peter Claus
Bilder: © Pandora Film
Paula – Mein Leben soll ein Fest sein, von Christian Schwochow (Deutschland 2016)
- „Rosenmontag For Future“ Oder: Lachen schult das freie Denken - 9. Februar 2020
- Thilo Wydra: Hitchcock´s Blondes - 15. Dezember 2019
- Junges Schauspiel am D’haus: „Antigone“ von Sophokles - 10. November 2019
Schreibe einen Kommentar