Eine Dokumentation, ein Essay, überaus intelligent komponiert: Es geht um alltägliche Gewalt, die Menschen anderen Menschen antun, indem sie Fremde ausgrenzen, Flüchtlingen Hilfe verweigern oder sich gegenüber dem Schicksal Verfolgter einfach nur gleichgültig verhalten.
Regisseur Gianfranco Rosi zeigt, was die Welt seit Jahrzehnten sehen könnte, blickte sie nicht weg: Den Alltag auf der zu Italien gehörenden Insel Lampedusa. Nahezu täglich stranden hier Flüchtende, überwiegend aus Afrika. Sie kommen unter Lebensgefahr auf Booten, die nicht selten Todesschiffe sind. Oft sterben Leute, ehe sie die vermeintliche Rettungsinsel erreichen. Auf der Insel ist es wie derzeit auch in vielen deutschen Städten: die Fremden, die aus der Ferne Gekommenen, die Hilfesuchenden spielen im Alltag der meisten Einheimischen kaum eine Rolle. Der eine oder andere engagiert sich, hilft. Die meisten aber murmeln allenfalls Floskeln des Bedauerns. Oder nicht einmal das. Schockierend an Rosis Film ist nicht, dass er das Sterben zeigt, ist nicht, dass er ohne Tünche auf das Elend der Gehetzten blickt, ist nicht, dass er die Hilflosigkeit des italienischen Staates dokumentiert. Schockierend ist, dass all das, was er zeigt, weltweit alltäglich ist. Um das zu spiegeln, braucht der Regisseur keine ausgeklügelten Bildkompositionen und kein einziges kommentierendes Wort. Dadurch bekommt der Film eine ungeheure Intensität. Diese Wahrhaftigkeit bringt vielleicht den einen oder anderen zum Nachdenken und damit dazu, den auch hierzulande aktiven politischen Bauernfängern, die nur Symptome anprangern, aber nie nach Ursachen fragen, die mehr und mehr geistige Grenzen und wirkliche Mauern ziehen wollen, das Handwerk zu legen.
Klar: Rosi hat inszeniert, allein schon dadurch, wie er die einzelnen Momentaufnahmen miteinander montiert hat. Und erst recht dann, wenn er mit schöner Beiläufigkeit einen Halbwüchsigen begleitet – zuhause auf Lampedusa, ein aufgeweckter Junge, der sich für alles interessiert, von vielem nichts weiß.
Als Regisseur Gianfranco Rosi zum Abschluss der Internationalen Filmfestspiele Berlin im Februar 2016 aus den Händen von Jury-Präsidentin Meryl Streep den Goldenen Bären annahm, sagte er sichtlich bewegt: „Wir leben in einer Welt, in der gerade viele Mauern und Grenzen gezogen werden. Am meisten habe ich Angst vor den geistigen Grenzen, die hochgezogen werden.“ – „Fuocoammare“ ist derzeit d e r Film zur Lage der Welt.
Peter Claus
Bilder: Weltkino
Seefeuer, von Gianfranco Rosi (Italien 2015)
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