Das Regie-Debüt der Regisseurin Andrina Mračnikar hat bereits auf einigen Festivals Lorbeeren geerntet, Preise inbegriffen, darunter auch den First Steps Award, eine der wichtigsten Auszeichnungen, die in Deutschland für den Filmnachwuchs vergeben werden. Die jetzt 35-jährige Regisseurin war Schülerin bei Österreichs derzeit wohl bekanntestem Regisseur Michael Handke. Dessen filmischen Psychogramme von Menschen im Abseits, etwa in „Die Klavierspielerin“, „Das weiße Band“ und, zuletzt, „Liebe“, gehören zum Besten des europäischen Kinos der letzten 25 Jahre. Und sie haben AAndrina Mračnikar r offenkundig stark geprägt: In intensiven Bildern erzählt sie eine Liebesgeschichte, die nicht in rosaroten Glücksgefühle schwebt, sondern in die Hölle von Wahn und Irrwitz führt.
Doch kann der Film die Erwartungen, die der Name Haneke weckt, wirklich erfüllen? Er kann.
Wir wissen es: die erfolgreichsten Liebesfilme der Kino-Geschichte sind Filme, die von unerfüllter oder unglückliche Liebe erzählen, also Liebeskummer-Filme: „Vom Winde verweht“, „Casablanca“, „Die Brücken am Fluss“ beispielsweise. Hier nun wird’s besonders hart: Es geht um ein Paar, das statt im siebten Himmel in der Hölle landet. Dabei beginnt’s charmant: Sie und er treffen sich zufällig in einer Bar in Paris. Aus dem Flirt wird mehr. Als sie wieder in Wien ist, bestürmt er sie mit charmanten Video-Liebeserklärungen via Mobiltelefon und Computer. Dann kommt er selbst und entpuppt sich als neurotisch eifersüchtig. Er wird verbal und auch körperlich brutal. Die Trennung ist unausweichlich. Jetzt kommen Hass-Videos. Und sie hat nun permanent das Gefühl, von ihm verfolgt zu werden. Sie steigert sich in eine Psychose hinein. Bald ist nicht mehr klar, ob das, was sie sieht und hört und fühlt, real ist oder eingebildet.
Die Story klingt nach einem Horrorfilm, wie es viele gibt. Doch dem ist nicht so. Regisseurin Andrina Mracnikar erzählt subtil, zeigt, wie der Schrecken auf leisen Sohlen daherkommt. Geschickte Perspektivwechsel, knappe Dialoge, das exzellente Schauspiel sorgen für Spannung. Ein packendes Kammerspiel ist zu bestaunen. Alice Dwyer und Sambin Tambrea überzeugen in den Hauptrollen. Keine Figur wird denunziert. Nix da mit Abziehbildern. Dwyer zeigt eindringlich, wie eine handfeste Persönlichkeit zum nervlichen Wrack wird, Tambrea einen Mann mit vielen Gesichtern, dessen Liebeswahn man durchaus nachvollziehen kann, auch wenn man sein Auftreten nie billigt.
Andrina Mračnikar, die acht Jahre an dem Film gearbeitet hat, zerfleddert den Mythos von der „großen Liebe auf den ersten Blick“ sehr geschickt und einfühlsam. Und sie gibt einen originellen Kommentar auf die Fallen moderner Kommunikation: Treibt uns die Abhängigkeit von den neuen Medien zu schnell ins Abseits, raus aus der Realität, hinein in Wunschwelten? Dieser Frage folgen im Nachdenken über den Film andere. Etwa diese: Wie sehr können wir eigentlich dem Bild vertrauen, das wir von uns selbst haben?
Peter Claus
Bilder: W-Film
Ma Folie, von Andrina Mračnikar (Frankreich / Österreich 2015)
- „Rosenmontag For Future“ Oder: Lachen schult das freie Denken - 9. Februar 2020
- Thilo Wydra: Hitchcock´s Blondes - 15. Dezember 2019
- Junges Schauspiel am D’haus: „Antigone“ von Sophokles - 10. November 2019
Schreibe einen Kommentar