Der Film zeigt Episoden aus dem Leben der Titelfigur, Lou Andreas-Salomé, eine Frau, die, zu ihrer Zeit, große Männer inspiriert hat, etwa den Dichter Rilke und den Psychoanalytiker Freud. Beim Filmfest Emden gab’s Anfang Juni bereits einen Preis. Allerdings kommt es nicht selten vor, dass sich das große Publikum im Kinoalltag über manchen Festivalpreis wundert. In diesem Fall wohl kaum. Die Ehrung ist verdient.
Lou Andreas-Salomé lebte von 1861 bis 1937. Geboren wurde sie in St. Petersburg, gestorben ist sie in Göttingen. Dort hat sie, da war sie bereits über 70, ihre Erinnerungen aufgeschrieben. Was der Ausgangspunkt des Films ist.
Stilistisch ist das recht konventionell: eine Lebensgeschichte wird skizziert, Station für Station beleuchtet. Was kein Makel ist. Vielen dürfte der Name Lou Andreas-Salomé heutzutage nur noch wenig sagen. Da ist es angenehm, sich in der Filmerzählung leicht zurechtzufinden. 1933 hilft ihr ein jüngerer Germanist beim Sortieren der Gedanken und beim Aufschreiben. Lou (hier gespielt von Nicole Heesters) lebt recht zurückgezogen. Sie wird von den Nazis abgelehnt, weil diese die Psychoanalyse als „undeutsch“ schmähen.
Nicole Heesters verkörpert die Titelheldin forsch, mit Selbstironie, sehr präsent. Man ist als Zuschauer sofort gefangen, möchte dank der exzellenten Schauspielerin mehr über diese so selbstbewusst wie selbstkritisch anmutende Frau erfahren. Und man ist schlichtweg hingerissen von der inneren Schönheit, die sie ausstrahlt.
Über Rückblenden werden dann einzelne Erinnerungen aufgeblendet. Gleich drei weitere Schauspielerinnen stellen Lou Andreas-Salomé dar, darunter ein Kind. Vor allem Katharina Lorenz prägt sich ein, nicht nur, weil sie am längsten zum Zuge kommt. Es ist von großem Reiz, wie sie die Entwicklung des Charakters im Erwachsenenalter erhellt. Da ist zunächst sehr viel Härte zu spüren, die erst spät Nachsicht und Milde Platz einräumt. Lorenz’ Darstellung harmoniert und korrespondiert aufs beste mit der von Nicole Heesters.
Die Episoden führen nach St. Petersburg, in das Elternhaus, dann einmal quer durch Europa, nach Zürich, nach Rom, und durch die Zeit: der technische Fortschritt verändert den Alltag von Millionen, die Kunst wird vielfach zum Mittel des Klassenkampfes, da ist der Schrecken des Ersten Weltkriegs, dräuen schon in den angeblich so goldenen 20er Jahren die unheilvollen Schatten des heraufziehenden Faschismus’. All dies wird mehr oder weniger kurz angedeutet, skizziert. Der Fokus des Films gilt der Hauptfigur, zeigt ihr Streben, sich in der von den Männern dominierten Welt zu behaupten. Manche Szene wirkt dabei etwas aufgesetzt, bleibt zu sehr Vehikel. Das ist nicht immer fesselnd. Die starken Schauspielerinnen und Schauspieler aber faszinieren derart, dass man darüber gern hinwegsieht.
Besonders spannend: Schnell wird klar, dass sich Lou niemals irgendwelchen Glaubensdoktrin unterworfen hat, weder in religiösen Zusammenhängen noch sonst. Sie hat immer gefragt, nachgehakt, ihren Kopf eingesetzt. Politischen Bauernfängern, wie wir sie auch heute hierzulande zuhauf erleben, ist sie nie auf den Leim gegangen. Auch das macht sie für die Gegenwart interessant.
Drehbuch-Mitautorin und Produzentin Cordula Kablitz-Post, die hiermit ihr Debüt als Regisseurin eines abendfüllenden Spielfilms gibt, versteht sich ganz offenbar besonders gut auf die Schauspielführung. Sie hat das große Ensemble klug zusammengeführt. Der Aufbau eines durchgehend starken Spannungsbogens ist so ganz ihre Sache nicht. Doch dank der Akteure bleibt man dran, hat, das sei nicht verschwiegen, schlichtweg auch seinen Spaß daran, wenn einzelne Personen, Rilke etwa, vom Denkmalsockel geschubst werden.
Sehr gelungen sind die Zeitsprünge. Sie werden jeweils durch „lebenden Bildpostkarten“ angekündigt. Gleich Kapitelüberschriften in einem Roman gliedern sie das Geschehen. Vor einem wie von einem Maler kolorierten Hintergrund sind unbewegte Figuren zu sehen. Allein Lou mutet lebendig an. Ein schöner Einfall, eine kluge Ehrung der Lebensleistung dieser Frau. Das ist von angenehmer Beiläufigkeit. Hier wird ohne vordergründige Fingerzeige deutlich, was der Film an sich sehr genau reflektiert: Lou Andreas-Salomé war Männern wie Rilke, Nietzsche, Freud und anderen weit mehr als Muse. Doch die männliche Wahrnehmung der Welt hat ihre Wirkung und ihre Persönlichkeit ausgeblendet. Dieser Film allein wird das nicht revidieren können. Doch er könnte Anstoß sein, sich intensiver mit Lou Andreas-Salomé zu befassen. Sie hat es verdient, als Persönlichkeit und als bedeutende Frau der europäischen Geistesgeschichte.
Angenehm: Der Film stürzt zwar die berühmten Männer von den Denkmalen, ist aber nicht männerfeindlich. Es ist ein menschenfreundlicher Film.
Peter Claus
Bilder: © avanti media fiction
Lou Andreas-Salomé, von Cordula Kablitz-Post (2016 Deutschland/ Schweiz)
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