Der Beste

 

Mit ihrem Spielfilm „Attenberg“ wurde die griechische Regisseurin Athina Rachel Tsangari 2010 zu einer d e r Hoffnungen des Kinos ihres Heimatlandes und Europas. Das philosophische Bild der gegenwärtigen griechischen Gesellschaft wurde von der Filmkritik als „Greek New Wave“ gefeiert

Die Geschichte, die im Film erzählt wird, ist scheinbar klein: Sechs Männer stechen auf einer Yacht in See. Machtspielchen der Macho dominieren die auf Grund technischer Probleme holprige Fahrt. Am Ende aber gibt es keinen Sieger. – Was wie eine vordergründige Abrechnung mit überkommenen männlichen Verhaltensmustern beginnt, mausert sich zu einem überaus spannenden Gesellschaftspanorama. Wobei es nicht darum geht, das Spannungsverhältnis von Arm und Reich zu analysieren. Fokussiert wird auf ein Grundproblem des Kapitalismus: Allenthalben wird die Individualität gepreist, doch die Normen des Konsums setzen ihr enge Grenzen.

Die Protagonisten des Films haben sich damit abgefunden. Sie kreisen allein um sich selbst. Fischen, Jagen, Abhängen – Langeweile dominiert. Daraus wird die Idee geboren, bis zur Ankunft in Athen herauszufinden, wer der Beste der Gruppe ist. Dem Gewinner winken ein Siegelring und der Ritterschlag zum Chevalier. Der absurde Wettbewerb bringt zunächst nur Eitelkeiten an den Tag. Doch nach und nach entpuppen sich die Männer …

Bissige Beobachtungen geben den Ton an. Ob schwindende Potenz oder sich lichtendes Haupthaar, die Regisseurin nutzt alle Möglichkeiten, sich komödiantisch über die Alphatiere lustig zu machen. Bliebe es dabei, wäre das billig. Doch der Film dringt tiefer. Er zeigt, wie unendlich schwer es für Männer ist, sich bei aller Aufgeklärtheit, von Rollenstereotypen zu befreien, verweist er darauf, wie schwer es der bürgerlichen Gesellschaft fällt, sich zu wandeln, Lebensmuster fern von Neid und Konkurrenz zu entwickeln. Das „Spiel“ der Männer an Bord spiegelt die brutale Regel Nummer eins des bürgerlichen Alltags westlicher Prägung: Wettbewerb dominiert und nur der Sieg zählt. Schöne Sprüche wie „Die Teilnahme ist alles!“ sind nichts als Hohn.

In Deutschland läuft der Film im Original mit Untertiteln. Es macht aber nichts, wenn man kein Griechisch versteht. Denn erstens sind die erfreulich knapp gehaltenen Dialoge nicht das Wesentliche. Es sind die Momentaufnahmen der Männer, wenn sie in der Einsamkeit der Kabinen nicht mal sich selbst gegenüber ehrlich auftreten können. Zweitens sagt der Klang der Stimmen, sagt manches Schweigen, mehr aus als alle Worte. Und das vermittelt sich auch dem Fremdsprachler.

Erfreulicherweise wird das nie kopflastig. Der Film funktioniert auch als Groteske über eine skurrile Bootstour. Da sorgt denn auch die Frage für Spannung, wie dieses Spiel wohl ausgehen wird. Das darf vor dem Kinobesuch natürlich nicht verraten werden. Nur so viel: Die Männer weichen keinen Millimeter von dem ab, was sie als A und O des Lebens (miss)verstehen. Bei dem aufblitzenden Verweis auf die soziale Situation Griechenlands und der sogenannten westlichen Welt an sich lässt bleibt einem das Lachen im Hals stecken.

Peter Claus

Bilder © rapid eye movies

Chevalier, von Athina Rachel Tsangari (Griechenland 2015)