Krankheiten machen Kasse, jedenfalls im Kino. Nach „Still Alice“ und all den anderen Dramen nun also schon wieder. Dieses Mal geht es um amyotrophe Lateralsklerose, bekannt unter dem Kürzel ALS. (Gab’s auch grad schon mal im Kino, im BioPic „Die Entdeckung der Unendlichkeit“ über den daran leidenden Physiker Stephen Hawking.)
Mittelpunkt der Romanverfilmung ist Kate (Hilary Swank). Einst hat sie, aus Liebe zu ihrem Mann Evan (Josh Duhamel), eine Karriere als klassische Pianistin aufgegeben. Ohne schmerzhafte Nachwehen. Die Zwei sind glücklich. Die Eingangssequenz zeigt sie uns als Liebende. Dann aber treten die ersten Symptome der Krankheit bei Kate auf: ihre Finger wollen nicht mehr recht gehorchen. Und es wird schlimmer. Evan versucht alles, seiner Frau das Leben zu erleichtern. Er scheitert jedoch. Als er sich auf eine allein von der Befriedigung sexueller Lust bestimmte Beziehung mit einer Mitarbeiterin einlässt, zerbricht die Ehe. Bec (Emmy Rosssum), die gerade erst engagierte Hilfe, muss nun über sich hinauswachsen. Die zwei Frauen aber geben nicht auf, helfen einander und lernen voneinander. Die Erkrankung jedoch galoppiert geradezu voran. Kates Möglichkeiten schränken sich mehr und mehr ein. Es bleibt ihr nicht viel Zeit, ehe sie und Bec vor der Frage stehen, ob es in ihrem Fall nicht besser sei, freiwillig aus dem Leben zu scheiden. Aber nicht allein die Beiden müssen damit zu Recht kommen. Auch Evan, auch die Eltern von Kate, Freunde …
Im US-amerikanischen Original heißt der Film „You‘re Not You“ („Du bist nicht Du“). Anders als der kitschige deutsche Verleihtitel deutet der Originaltitel an, worum es vor allem geht: darum, dass ein Mensch sich unter der Last einer schweren Erkrankung mehr und mehr von sich selbst entfernen kann, radikale Persönlichkeitsveränderungen durchmacht, die nicht unbedingt von Nachteil sein müssen. Regisseur George C. Wolfe zeigt das in starken Szenen, deren Spannung daraus resultiert, dass sie die permanente innere Anspannung der Figuren verdeutlichen. Dabei wird niemand denunziert. Evan etwa erscheint keinesfalls als herzloses Monster, das eiskalt seine hilfsbedürftige Frau hintergeht. Er ist schlichtweg überfordert. Wie auch Kate selbst. Hilary Swank zeigt sie zunächst, und da ist ihr Spiel besonders packend, als Frau, die glaubt, mit Willenskraft alles stemmen zu können. Statt weicher zu werden, sensibler, verhärtet sie mehr und mehr, verkriecht sich hinter einem Panzer, der anderen kaum eine Chance lässt, ihr wirklich nahe zu kommen. Da kommt dann der Begegnung mit der Studentin Bec, einem wuseligen Wirrkopf der sympathischen aber eben auch arg chaotischen Art, natürlich eine besondere Rolle zu. Wie die zwei Frauen, die vom Typ her unterschiedlicher kaum sein können, ganz langsam Verständnis für einander entwickeln, einander durch Geduld und Hingabe tatsächlich helfen, wird mit einnehmender Schlichtheit erzählt. Fern von der Komik der Klamotte „Ziemlich beste Freunde“ wird überaus intensiv der hohe Wert unvoreingenommener Freundschaft beleuchtet. Das ist nicht lustig, das ist wirklich todernst. Und genauso wird auch davon erzählt. Das ist wohltuend fern von üblichen Unterhaltungsmustern.
In der Hauptrolle agiert „Oscar“-Preisträgerin Hilary Swank. Sie zeichnet die mehr und mehr leidende Kate mit feinen Strichen. Wieder einmal überzeugt sie als Frau, die sich durchsetzen muss, in diesem Fall vor allem gegen das eigene Naturell. Unaufgeregt vermeidet sie alle – leider vom Drehbuch vorgegebene – Sentimentalität, entwirft ein vielfarbiges Charakterporträt. Eines freilich kann alle Virtuosität ihres Spiels nicht wegwischen: den leichten Unmut, dass wieder eine Leidensgeschichte erzählt wird, die im Milieu der Schönen und Reichen angesiedelt ist, in einer Welt, in der finanzielle Fragen absolut keine Rolle spielen. Menschen wie Du und ich, die sich nicht eben mal schnell die neuesten und teuersten Behandlungen leisten können, tauchen auch in diesem Film nicht auf. Das schmälert allerdings die schauspielerischen Leistungen nicht. Und die sind prägen und bleiben in Erinnerung. Hilary Swank erweist sich zudem wieder einmal als ernstzunehmende Schauspielerin, die nicht auf Effekte setzt, sondern auf Gedanken- und Gefühlsreichtum. Das hebt sie aus dem gelifteten Hollywood-Einerlei weit hervor!
Peter Claus
Bilder: Koch Media
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