Die Finanzkrise als Thema eines Spielfilms? Schon Johannes Naber hat mit „Zeit der Kannibalen“ bewiesen, dass sich daraus erhebliches cineastisches Kapital schlagen lässt. Regisseur Paolo Virzì hat den 2004 erschienenen Roman „Human Capital“ von Stephen Amidon als Vorlage genommen und sehr frei adaptiert. Herausgekommen ist dabei ein ebenso unterhaltsamer wie zum Nachdenken anregender Spielfilm.
Die verschlungenen Pfade zweier Familien stehen im Zentrum. Sämtliche Wegweiser zeigen in Richtung Profit. Was zu allerlei Stürzen der Beteiligten führt. Reflektiert wird das Geschehen in einer Geschichte, die auf angenehme Weise unberechenbar anmutet Sie besteht aus drei Kapiteln: Aufstieg, Fall und Katharsis. Das klassische Dramenmuster also wird genutzt, doch es wird auch geschickt gebrochen. Da darf man denn am Ende etwas verdutzt aus der Wäsche gucken – und wird gerade dadurch dazu gebracht, die eigenen Moralvorstellungen auf den Prüfstand zu stellen.
Keine Angst: Vordergründig moralisiert wird nicht. Der meist satirische Witz mit oft bösen Pointen sorgt dafür. Und auch der Umstand, dass keine der Figuren denunziert wird. Hier agieren Menschen – mit Stärken und, wie’s so ist, mit Schwächen. Die Protagonisten sind der Immobilienhändler Dino Ossola (Fabrizio Bentivoglio) und seine Tochter Serena (Matilde Gioli), und die im Gegensatz zu ihnen wirklich gut betuchten Bernaschis, Giovanni (Fabrizio Gifuni) und Gattin Carla (Valeria Bruni Tedeschi). Sie alle geraten in ein Gespinst aus Lug und Trug, insbesondere Selbstbetrug. Die Folgen sind hart. Und werden noch schlimmer, da alle tatsächlich bereit sind, über Leichen zu gehen, wenn’s dem eigenen Verdienst nutzt. Dabei wird nur zu klar, dass sie selbst nichts anderes sind als Zombies auf dem Schlachtfeld der allein auf Profitmaximierung ausgerichteten „modern times“.
Der Beginn lässt einen an Brecht denken. Holzschnitte der Figuren herrschen vor. Doch rasch wandelt sich der Film zur geistreichen leicht melancholischen Komödie voller kluger Gedanken. Von Szene zu Szene werden die Charakterporträts nuancierter. Was die Spannung anheizt. Je mehr wir als Zuschauer von den Handelnden wissen, umso drängender fragen wir uns, wie wir an ihrer Stelle agieren würden. Im Finale wird aus der schwarzen Komödie ein Kriminalreißer. So nachvollziehbar die Zuspitzung ist, so wenig braucht man sie wirklich. Schon vorher ist alles klar. Doch das stört nicht weiter, halten einen doch die exzellenten Schauspieler bei Laune. Valeria Bruni Tedeschi und Matilde Gioli führen das glänzend agierende Ensemble souverän an. Man kennt Leute wie sie. Und man muss sich fragen, ob man im eigenen Spiegelbild nicht auch Spuren von ihnen bei sich selbst findet.
Peter Claus
Die süße Gier, von Paolo Virzì (Italien / Frankreich 2014)
Bilder: Movienet (24 Bilder)
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