Zuletzt war’s in der Komödie „Wir sind die Neuen“ zu erleben: Witz in Spielfilmen made in Germany beruht oft auf Schadenfreude. Da zeigen es mal wieder die Klugen den Dummen. Öde.
Hier nun ist’s erfreulich anders. Hier sind alle die „Dummen“. Ob Hochkultur oder Proletariat – alle machen sich lächerlich, aber niemand wird vom Film lächerlich gemacht. Dafür gab es schon Jubel und Preise auf dem Münchner Filmfest. Zu recht! Autor und Regisseur Oliver Haffner begeistert damit, dass er, wie urkomisch es auch in mancher Szene zugeht, jeder Figur eine große Würde lässt, Humor und, vor allem, Charme. Hier agieren pralle Charaktere in einer prallen Geschichte.
Diese Geschichte beginnt gar nicht spaßig. Hauptfigur ist „ne arbeitslose Schauspielerin, die noch nie im Tatort‘ war“. So wird die von Katharina Marie Schubert mit hinreißender Verve verkörperte Mitdreißigerin Anna einmal genannt. Das trifft sie hart. Auch ganz direkt. Anna hat gerade ihre Anstellung an einem Stadttheater verloren. Der Intendant hat ihr die schlechte Nachricht beim Gläschen Wein überbracht, verpackt in verlogene Aufbauparolen. Wer da nicht in Depression verfällt, muss ein sehr starkes Selbstbewusstsein haben. Anna hat es nicht. Doch sie hat Glück im Unglück: Eine theaterbegeisterte Mitarbeiterin des Jobcenters überträgt ihr die Leitung des Schauspielkurses für einige schwer zu vermittelnde Langzeitarbeitslose. Anna setzt dabei auf „Antigone“. Das erste, was sie ihrer Truppe vermittelt, ist der Lehrbuchsatz: Immer schön den Anderen wahrnehmen!“. Ein Großteil der immensen Spannung erwächst im Folgenden daraus, dass Anna begreifen muss, wie oft sie selbst gerade diesen Satz missachtet. Der Weg zur Erkenntnis ist steinig!
Als Regisseur an Bühnen, wie zum Beispiel dem Pfalztheater Kaiserslautern, hat Oliver Haffner reichlich Erfahrung gesammelt. Er kennt die Theaterwelt mit allem Schein und allen Schrecken. Aber auch die unterschiedlichen Milieus, aus denen die Kursteilnehmer kommen, sind genau und liebevoll gezeichnet. Wobei liebevoll das entscheidende Stichwort ist. Haffner und sein Team gehen durchweg geradezu behutsam mit den Charakteren um. Was nicht heißt, dass allein reizende Zeitgenossen auftreten. Ganz im Gegenteil. Es gibt jede Menge Zoff und Streit und manch hartes Wort fällt. Doch weil immer aus der jeweiligen Situation heraus verständlich, wird keine der Figuren beschädigt. In diesem Zusammenhang muss die Kameraführung von Kasper Kaven genannt werden. Kaven, der gern auch für die Werbung arbeitet, offeriert keine glatten Hochglanzbilder. Die Tristesse des Übungsraumes im Jobcenter beispielsweise wird dank seiner vielen Seitenblicke auf Details zum Symbol der Lebenssituation der Protagonisten. Die er gern beobachtet, wenn sie scheinbar nichts zu tun haben, wenn sie etwa bei einer Probe am Rande sitzen, ganz auf sich allein gestellt sind. Die vom Regisseur allesamt exzellent geführten Schauspieler offenbaren oft in Momenten des Schweigens, des Nicht-Agierens, das Innere der von ihnen verkörperten Menschen, Menschen, die sich als Verlierer sehen, die sich längst aufgegeben haben, weil sie nicht mehr an sich selbst glauben können. Anna schenkt ihnen ein bisschen von diesem Glauben zurück. Das ist ihre große Leistung. Die große Leistung des Films ist es, dass er, wiewohl er den Sehgewohnheiten und den daraus erwachsenden Erwartungen eines vor allem von Fernsehfilmen geschulten Publikums entspricht, nicht in oberflächlicher Kopf-hoch-es-wird-schon-Pose erstarrt. Trotz des schönen happy ends für die Theatertruppe und einiger sonniger Aussichten für Anna bleibt das Elend des Aussortiert-Seins durchweg spürbar. Die Schärfe der Gesellschaftsstudie schärft den Humor und lässt den Film über die Comedy hinaus wirklich zur Komödie reifen.
Die Erzählung hat viele, viele voraussehbare Momente: Miteinander und Gegeneinander, Zusammensein und Aneinander-vorbei-Gehen, Zickereien und Zärtlichkeiten. Wohl niemand wird es überraschen, dass es auch eine Lovestory gibt. Doch Kitsch bleibt aus. Dafür sorgt die Authentizität von Katharina Marie Schubert und ihren Mitstreitern, wie Marion Breckwoldt als körperlich völlig abgearbeitete Ex-Kindererzieherin, Paul Fassnacht als am Konkurs verzweifelter Tischler Franz und Adam Bousdoukos in der Rolle des kantigen Griechen Dimitri. Sie alle gestalten facettenreiche Persönlichkeiten, die man als Zuschauer sofort ins Herz schließt. Man lacht und weint herzhaft mit Anna und den anderen. Es ist eine wahre Freude ist. Die schönste deutsche Kinokomödie seit Jahren.
Peter Claus
Ein Geschenk der Götter, von Oliver Haffner (Deutschland 2014)
Bilder: Arsenal
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