Clint Eastwood ist als Regisseur ein Meister anspruchsvoller Unterhaltung. Seine 1995 uraufgeführte Adaption des Drei-Groschen-Romans „Die Brücken am Fluss“ veredelte er mit staunenswertem Stilbewusstsein und machte damit aus einer billigen Lovestory eine herzergreifend intensive Studie über den beachtlichen Wert unerfüllter Lebensträume. So gut waren nur noch wenige der von ihm inszenierten Spielfilme.
Nun also die „Jersey Boys“. Da muss man sagen: kein von ihm inszenierter Film bisher war so unbedeutend. Vielleicht liegt’s daran, dass sich hier viele Träume der Protagonisten erfüllen? Ein Mangel ist sicher, dass keiner der Akteure auch nur ansatzweise das Format von „Brücken am Fluss“-Hauptdarstellerin Meryl Streep hat und auch nicht von Clint Eastwood selbst, der damals die männliche Hauptrolle verkörperte. Dazu kommt, dass die um die Songs herum erzählte Mini-Geschichte zu kräftig nach Klischees riecht und schlichtweg langweilig ist. Reflektiert wird, viel Tatsächliches und noch mehr Fiktives vermischend, der Aufstieg von einigen Halbwüchsigen aus der Unter- und Mittelschicht, die sich als Rock-Pop-Stars unter dem Namen „The Four Seasons“ durchsetzen. Der Weg nach oben, wie könnte es anders sein, ist hart gepflastert. Es gibt so einige Probleme. Die emotionale Leere der Jungs ist da noch das Geringste. Drogen- und andere Verbrechen wiegen schwerer. Doch alles wird überdeckt vom alten Theaterspruch „The Show must go on!“. Ganz klar selbstverständlich: zum Aufstieg gehört auch in diesem Fall der Absturz, zumindest das Stolpern.
Der inzwischen 84jährige Regisseur liefert eine erstaunlich lahme Show. Die Songs der „Four Seasons“ zünden auch mehr als ein halbes Jahrhundert nachdem sie erstmals um die Welt gegangen sind. „Big Girls Don’t Cry“, „Walk Like a Man“, „Bye Bye Baby“ oder „Sherry“ oder, oder, oder verführen zu kollektivem Wippen und Fingerschnipsen. Älteren Filmbesuchern wird dabei manche Erinnerung an die eigene Jugend in den Sinn kommen. Durchaus von Reiz sind dazu die deutlich im Studio errichteten Straßen und Häuserzeilen und Interieurs der 1950er Jahre. Das sieht sich an wie ein liebevoller Gruß aus dem Hollywood zu „Casablanca“-Zeiten. Doch sonst? Die dürre Fabel hangelt sich von Song zu Song. Aufgepeppt wird sie dadurch, dass sich die einzelnen „Four Seasons“-Boys immer mal mit direktem Blick in die Kamera sozusagen persönlich an die Zuschauer wenden und ihre Sicht auf die Ereignisse vorstellen, gern auch noch aus dem Off. Doch da dann meist nur erzählt wird, was man ohnehin sehen kann, bringt es wenig Gewinn. So ziehen sich die etwa 130 Minuten denn doch arg hin. Schauspielerisch ist dabei allenfalls gediegenes Handwerk auszumachen. Die Darsteller wirken nett. Eine verführerische Magie aber strahlt niemand aus. Als Solitär sticht Christopher Walken im Part eines Mafia-Paten aus dem Ensemble heraus. Doch da seine Rolle nicht die größte ist, kann auch er keinen wirklich spannenden Charakter entwickeln.
Die „Four Seasons“, die echten, gehören zu den erfolgreichsten Vertretern jenes Rock- und Pop-Stils, der als „Doo-Wop“ in die Musikgeschichte eingegangen ist. Die Songs taugen prima für das, was im Fachjargon Jukebox-Musical genannt wird. Die Hits werden nur so herunter geschnurrt und begeistern. Das Drumherum ist dabei uninteressant. Dieses Drumherum stammt vom Ex-Keyboarder Bob Gaudio und vom früheren „Four Seasons“-Manager Bob Crewe als Autorenduo des Bühnenstücks. Sie setzen auf nichts als Legendenbildung, angeheizt von der Musik. Der Film fügt dem nichts Originelles hinzu. Clint Eastwood ist sich untreu geworden. Unterhaltung, ja, bietet er, mit den Songs. Geistvolles hat er dieses Mal nicht dabei.
Peter Claus
Bilder: Warner
Jersey Boys, von Clint Eastwood (USA 2014)
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