Nach der Kitschorgie „Das Leben der Anderen“ ist einem die Lust auf Kino-Begegnungen mit der DDR ziemlich vergangen, auch wenn „Barbara“ der Schieflage einiges entgegen halten konnte. Hier aber kommt endlich einmal ein Spielfilm, der die deutsch-deutsche Misere klug beleuchtet und den Blick dabei vom Gestern auf das Heute lenkt.
Mauer, Stacheldraht und Selbstschussanlagen im Osten. Im Westen die Freiheit. So sahen und sehen es viele, wenn von der DDR die Rede ist. So sieht es zunächst auch Nelly, die Ende der 1970er Jahre mit ihrem neunjährigen Sohn Alexej von Ost- nach West-Berlin ins Notaufnahmelager Marienfelde ausreisen kann. Dort aber erlebt die studierte Chemikerin erschreckende Parallelen zwischen Bürokratie hier und da. Bald fühlt sie sich nur noch von Spitzeln umgeben. Zudem stellt sich dann auch noch der Verdacht ein, dass sie von verschiedenen Spionagediensten missbraucht wird. Wäre die junge Frau etwa besser im Osten geblieben?
Die Adaption von Julia Francks autobiografischem Roman „Lagerfeuer“ fesselt als wuchtiges Kinodrama. Streckenweise wird die Intensität eines Psychothrillers erreicht. Kameramann Frank Lamm unterstützt die dichte Inszenierung von Regisseur Christian Schwochow mit Bildern, die auf den ersten Blick eine große Weite atmen. Doch spiegeln sie vor allem eine klaustrophobische Enge, aus der es kein Entkommen gibt, weder für die Protagonisten noch für das Publikum.
Das Spannende: Die Spitzel-Story lässt einen sehr schnell über die Gegenwart nachdenken, darüber, wie unser Leben heute von Überwachung und Misstrauen geprägt ist. Das wird dadurch unterstützt, dass Hauptdarstellerin Jördis Triebel sofort zur Identifikationsfigur wird. Sie vermeidet alles Grelle im Spiel. Man meint sehr schnell, diese Frau gut zu kennen und versteht ihre Ängste deshalb auch sofort. Nicht erst am Ende des Films beginnt man, darüber nachzudenken, in welchen Grenzen sich eigentlich das eigene Lieben hier und heute abspielt.
Peter Claus
Westen, von Christian Schwochow (Deutschland 2014)
Bilder: Senator
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