Altbekannt und doch immer wieder erschreckend: Hinter der Fassade gutbürgerlicher Anständigkeit und Behaglichkeit lauert allzu oft das Böse. Für diese filmische Auseinandersetzung damit gab’s auf der Berlinale einen wichtigen Preis, den Silbernen Bären für das Beste Drehbuch.
Das Böse hier gibt sich besonders gut: eine katholische Priesterbruderschaft. Wer ihr angehört, lebt ganz dem Glauben. Sagt die Bruderschaft. Deren Regeln sind streng. Sie sind so streng, dass von Menschlichkeit keine Rede mehr sein kann. Auch nicht wirklich von Glaube. Die Bruderschaft erweist sich als fanatische Vereinigung, die an schlimmste Sekten denken lässt. Alles Moderne gilt als gottesfeindlich. Nichtkirchliche Musik, Kino und Literatur zum Beispiel werden als teuflisch verdammt. Nur so, sagen die Prediger der Bruderschaft, sei die Tradition des Glaubens rein zu halten.
Zur Familie, die im Zentrum des Film steht, gehört die 14-jährige Maria (Lea van Acken). Sie möchte den Eltern gehorchen, was für sie ganz selbstverständlich heißt, den Regeln der Bruderschaft zu folgen. Genau das führt sie ins Verderben. Zunächst sind es scheinbar Kleinigkeiten, die sie ins Stolpern bringen: Als sie beispielsweise mit anderen Jugendlichen in einem Gospelchor singen möchte, wird Maria von ihrer fanatisch gläubigen Mutter hart gerügt. Die leise Andeutung, einen Mitschüler anziehend zu finden, bringt ihr gar den Vorwurf ein, Jesus zu verraten. Durch diese und andere Erfahrungen fühlt sich das pubertierende Mädchen derart schuldig, dass sie nur einen Weg der wirklichen Buße sieht: Sie will sich Gott opfern. Die Folgen sind furchtbar.
Anna und Dietrich Brüggemann, Geschwister, schrieben das Drehbuch zum Film gemeinsam. Sie teilten die Geschichte in 14 Kapitel ein. Jedes hat einen Titel, der an die Passionsgeschichte, an die Stationen des Leidensweges, Jesu Christi erinnert. Die Kapitelüberschriften heißen also „Jesus Christus wird zum Tode verurteilt“ oder „Der heilige Leichnam Jesu wird ins Grab gelegt“. Jedes Kapitel besteht aus einer einzigen Einstellung. Es gibt, abgesehen von wenigen Ausnahme, keine Kamerabewegung und keine Schnitte. Die Kapitel wirken formal sehr theatralisch. Das ist arg streng und zunächst auch anstrengend für das Publikum. Doch genau diese Strenge treibt einen sozusagen direkt an die Seite der Protagonisten.
Große Freude auf der Berlinale: der Silberne Bär für das Beste Drehbuch. Unbegreiflich, dass Lea van Acken nicht ausgezeichnet wurde. Die während der Dreharbeiten knapp 14-Jährige beweist in ihrem Filmdebüt ein enormes Talent. Nie übertreibt sie und zeigt die Pein Marias doch sehr genau. Deren Selbstaufgabe wird für den Zuschauer geradezu körperlich spürbar. Wobei die Größe des Films darin besteht, dass es nicht dabei bleibt. Der Film weitet sich, ausgehend von der individuellen Geschichte, zu einer scharfen, anklagenden Auseinadersetzung mit jedweder Form von Fanatismus. Die mögliche Schönheit und Berechtigung von Religiosität und Glaube an sich werden dabei nicht in Frage. Kritisiert wird allein ein lebens- und menschenfeindlicher Dogmatismus. In Zeiten mehr und mehr überschäumender Öffentlichkeit, da jede und jeder meint, via internet-Votum Recht sprechen und andere Menschen verdammen zu können, ist diese Kritik dringend notwendig.
Peter Claus
Kreuzweg, von Dietrich Brüggemann (Deutschland 2014)
Bilder: Camino
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