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Nach wie vor ist das Hollywood-Drama „Philadelphia“ der wohl bekannteste Spielfilm mit einem an Aids erkrankten Helden. Es gab -zig Preise, „Oscar“ inklusive, für Hauptdarsteller Tom Hanks. Heute kaum mehr bekannt: die Uraufführung des wuchtigen Plädoyers für Toleranz im Dezember 1993 in den USA wurde von heftigem Protest gegen die offene Darstellung von Homosexualität begleitet. Dieser Protest kam vor allem von christlichen Gruppen und Vertretern etablierter Kirchen. Mitmenschlichkeit? Fehlanzeige! Und genau das ist offenbar auch heute nach wie vor ein großes Problem. Noch immer geht es neben Aufklärung, Vorbeugung und wissenschaftlicher Forschung für wirksame Medikamente vor allem darum, die Toleranz gegenüber Aidskranken zu stärken. Nach wie vor gibt es selbst in den angeblich hoch zivilisierten Industriestaaten Ausgrenzungen, von ärmeren Ländern ganz zu schweigen. Die dallas_320Finanzierung des Dramas „Dallas Buyers Club“ hat fünfzehn Jahre gebraucht. Wie schon „Liberace“ (im Vorjahr angelaufen), begegneten die großen Produzenten dem Projekt mit äußerster Zurückhaltung, um es mal vorsichtig auszudrücken.

Hauptdarsteller Matthew McConaughey hat bereits mehrfach eine große Wandlungsfähigkeit bewiesen, sei es in Leichtem wie 2008 „Ein Schatz zum Verlieben“ oder Schwergewichtigerem wie bereits 1998 in „Amistad – Das Sklavenschiff“. Hier nun liefert er zweifellos die wichtigste und komplexeste Leistung seiner bisherigen schauspielerischen Laufbahn. McConaughey verkörpert mit feinem Gespür für Zwischentöne den Rodeo-Cowboy und Elektriker Ron Woodroof. Der Macho, ein Bilderbuch-Frauenheld, kann und will nicht glauben, dass er HIV-positiv sein soll. Schließlich weiß er doch, dass es sich dabei um eine „Schwulenseuche“ handelt. Damit steht er 1985, der Zeit der Handlung, in Dallas, wo er lebt, nicht allein da. Gerade mal 30 Tage Überlebenszeit werden ihm prognostiziert. Nicht nur Ron ist geschockt. Seine Kollegen und Freunde, geistig genauso beschränkt wie er selbst, grenzen ihn aus. Eben noch der beste Kumpel von allen, ist er plötzlich ein Außenseiter, Abschaum. Doch er lässt sich nicht unterkriegen. Nach ersten Fehlschlägen besorgt er sich in Mexiko eine in den USA nicht zugelassene Medikamentenmischung, die ihm tatsächlich hilft. Ron, ganz dem „American Dream“ vom Selfmademan ergeben, wittert sogleich ein gutes Geschäft. Gemeinsam mit dem Transsexuellen Rayon (Jared Leto) zieht er einen schwunghaften Medikamentenhandel unter dem Label „Dallas Buyers Club“ auf. Rayon macht den Club in der Schwulenszene populär und wirbt um Mitglieder, Ron vertickert die so hilfreiche wie heiße Ware. Doch weil ungesetzlich, kann das auf Dauer natürlich kaum gut gehen. Die US-Überwachungsbehörde schlägt – brav zum Gefallen der Pharmaindustrie – zu. Doch Ron kämpft weiter…

Der echte Ron Woodroof starb 1992 an Aids, sieben Jahre nachdem er die Diagnose samt der Prognose von nur noch einem Monat Lebenszeit erhalten hatte. Seine Geschichte ist die Grundlage des Drehbuches zum Spielfilm des kanadischen Regisseurs Jean-Marc Vallée. Die Erzählung kommt erstaunlich leicht daher. Nichts da mit Agitation wider alle Intoleranz, nie wird auf die Tränendrüsen gedrückt, Effekthascherei bleibt aus. Stattdessen entwickelt sich die Handlung fast beiläufig, bleibt der Ton geradezu sachlich. Die Dramatik der Geschichte ist aber auch so schon sehr groß. Da braucht es keine weiteren Zutaten. Der Bogen der Erzählung ist stringent: Am Anfang machen Ron und seine Kumpane widerlich-dumme Sprüche über den Filmstar Rock Hudson, dallas_320_2dessen Aids-Erkrankung gerade bekannt geworden ist. Und dann muss Ron selbst durch die Hölle der Ausgrenzung gehen, wobei die Angst der anderen, ihn auch nur zu berühren, noch zu den harmloseren Erfahrungen gehört.

Kapitelüberschriften informieren darüber, wie viele Tage seit der Diagnose vorbei sind, immer dann, wenn Ron wieder einmal einen Zusammenbruch hat, ertönt ein schmerzhaftes Summen. Kameramann Yves Bélanger zeigt die Welt der billigen Motels, Stripteaseschuppen und Krankenhäuser vor allem mit der Handkamera. Wobei er allerdings nicht durch nervöses Herumfahren Unmittelbarkeit erzeugen will, sondern durch die Nähe zu den Protagonisten. Er schaut ihnen oft wirklich über die Schulter. Die Authentizität wird natürlich entscheidend von den Akteuren erzeugt, Matthew McConaughey allen voran. Sein Ron bleibt ein reaktionärer Macho, wandelt sich nicht zum lupenreinen Menschenfreund und wirkt genau deshalb so glaubwürdig. Freilich haben die Ereignisse den wahren Ron durchaus zu kleinen Wandlungen gezwungen, und so verändert sich auch die Filmfigur. Matthew McConaughey zeigt das am nachhaltigsten in den gemeinsamen Szenen mit Jared Leto. Man hält vor Spannung – und durchaus auch Rührung – den Atem an, wenn Ron zum Beispiel im Supermarkt einen alten Kumpel  angreift, weil der seinen Begleiter Rayon als „Schwuchtel“ beschimpft. Wenn die Beiden, der harte Macker Ron und der zarte Transsexuelle Rayon, dann Blicke tauschen, die von Dankbarkeit und Achtung gegenüber dem jeweils anderen gezeichnet sind, wird wortlos alles gesagt, was dieser Film mitteilen möchte.

Bei der Verleihung der Golden Globes Mitte Januar bekamen Matthew McConaughey und Jared Leto die Auszeichnungen als beste Schauspieler in einem Drama in der Haupt- und in der Nebenrolle. Die „Oscar“-Nominierungen folgten auf den Fuß. Insgesamt ist der Film für sechs „Oscar“ nominiert, darunter auch in der Königsdisziplin „Bester Film des Jahres“. Die Auszeichnung wäre gerechtfertig, wird doch mehr geboten als „nur“ ein Drama um Leben (und Sterben) mit Aids. Ganz nebenbei, ohne Paukenschläge, wird die Profitgier der Pharmaindustrie gegeißelt. Noch wesentlicher: „Dallas Buyers Club“ ist kein „Schwulen-Drama“. Es geht ums Mensch-Sein an sich. Wer’s anspruchsvoller mag als üblich, sollte den Film nicht versäumen.

Peter Claus

Dallas Buyers Club, von Jean-Marc Vallée (USA 2013)

Bilder: Ascot Elite (Paramount)