Ein erstaunlicher Film. David Wnendt ist es gelungen, das krude Buch von Charlotte Roche in einen nicht nur ansprechenden, sondern fesselnden, vor allem auch emotional bannenden, Spielfilm zu übersetzen. Gelungen ist das durch Akzentverschiebungen in der Erzählung, die wirklich feingeistige Inszenierung und durch die Besetzung der Hauptrolle mit der schweizerischen Schauspielerin Carla Juri.
Juri, von jungenhafter Statur, nicht gerade zerbrechlich, aber doch sensibel anmutend, gibt der Figur der 18jährigen Helen eine schöne Unschuld. Dank ihrer Interpretation versteht man Helens Rebellion als Aufstand wider die Unsichtbarkeit, die ihr durch Missachtung der Umwelt, vor allem der Eltern (großartig als Mutter: Meret Becker), droht. Ist die Figur im Buch auch als durchtriebenes Luder interpretierbar, so wirkt sie im Film tatsächlich von Angst getrieben. Anders als im Buch ist ihr Handeln damit viel stärker psychologisch motiviert und wird zur Suche nach dem eigenen Ich. Damit geht einher, dass Helens schließlicher Lover, der Krankenpfleger Robin (Christoph Letkowski), ein ernst zu nehmender Partner für die Hauptfigur ist.
Wer sich beim Lesen des Buches oft (zumindest im Geiste) die Augen zugehalten hat, wird überrascht sein: hier kann man hingucken, ohne dass einem übel wird. Ja, es gibt harte Momente. Doch die sind so gefilmt, dass ihre Härte erst im Kopf des Zuschauers entsteht. Kino eben.
Die Jury in Locarno, wo gerade die Uraufführung beim 66. Internationalen Filmfestival war, hat den Film übersehen (wie auch andere wichtige, die Fünf haben sich für Kunstgewerbe entschieden). Das Publikum dort, etwa 3500 Zuschauer bei der Gala, die Journalisten aus aller Welt, reagierten überwiegend positiv, viele sehr begeistert, es gab in der Gala gar Bravorufe und Jubel, nur sehr wenige, 20 vielleicht, haben das Kino vorzeitig verlassen. Wnendt, Juri und den anderen, Andreas-Dresen-Produzent Peter Rommel nicht vergessen, ist ein schneller, anregender, wuchtiger Film von erstaunlicher Leichtigkeit gelungen. Und Carla Juri wird, wenn sie klug in der Rollenwahl ist, ganz groß rauskommen.
Peter Claus
Feuchtgebiete, von David Wnendt (Deutschland 2013)
Bilder: Majestic (Fox)
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