Thomas Vinterberg gehört seit etwa einem Vierteljahrhundert zu den international einflussreichsten Regisseuren. Wohl weil er die Regeln der von ihm mitbegründeten Dogma-Gruppe relativ schnell gebrochen hat. Er hat sich der Genrevielfalt verschrieben. Sein neuer Film erinnert in seiner sozialen und psychologischen Härte an „Das Fest“, den Welterfolg aus dem Jahr 1999.
Irgendwo in Dänemark, ein Dorf, eine Idylle. Kindergärtner Lucas (Mads Mikkelsen) fühlt sich wohl. Dann aber erzählt die vierjährige Klara (Annika Wedderkopp), er habe sich vor ihr entkleidet. Alle glauben ihr, wollen ihr glauben, denn es heißt doch so schön, dass Kindermund Wahrheit kund tue. Den unschuldigen Lucas bringt das in tödliche Gefahr – und sämtliche Insignien der Idylle entpuppen sich als höllisch verlogen.
Vinterberg erzählt die unerhörte Geschichte hart, eiskalt, konsequent. Das heikle Thema wird dabei ohne alles Spekulative beleuchtet. Und das intelligent. Die Not eines Unschuldigen, genau das, seine Unschuld zu beweisen, wird bedrängend deutlich. Doch Vinterberg fokussiert vor allem auf die schnelle Entmenschlichung all jener, die angeblich im Namen der Menschlichkeit zu Monstern mutieren. In einer Welt immer enger werdender Regelsysteme, eine Enge, die viele Formen von Fanatismus begünstigt, ist das das eigentliche Verdienst eines solchen Films.
Mads Mikkelsen trägt den Film in der Hauptrolle wesentlich. Der Star, der längst auch in kommerziellen Produktionen Zugkraft hat, siehe „Casino Royale“, umschifft alle Klippen drohender Sentimentalität in der Charakterzeichnung mit schauspielerischer Klasse. Nichts da mit waidwundem Blick und ähnlichen Tricks. Angst, Entsetzen, Wut spiegelt er insbesondere mit erstaunlich genauer Körpersprache, wie etwa Veränderungen im Gang. Und darum geht es ja auch vor allem: den aufrechten Gang.
Kino als Kunst, die versucht, auf das öffentliche Denken einzuwirken. Thomas Vinterberg zeigt, dass solches auch heutzutage in der Zeit allgegenwärtiger Belanglosigkeiten möglich ist.
Peter Claus
Die Jagd, von Thomas Vinterberg (Dänemark 2012)
Bilder: Wild Bunch Germany
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7. Mai 2013 um 12:28 Uhr
Lieber Peter! Danke für den präzisen Kommentar zu dem ergreifenden, intelligenten Film über das unsägliche Dilemma und Drama dieser „Jagd“, das in dem Film „Das Fest“ von der anderen Warte aus ebenso gnadenlos beleuchtet wurde.
Der Schluss, der Schuss, mann, mann, mann
Herzlich A. (erbitte Antwort mit aktueller e-mail-adresse, wg. neuem Computer)