Männer, die sich sexuelle Lust erkaufen, sind im Leben und in der Kunst nichts Ungewöhnliches. Frauen hingegen nach wie vor. Das Kino immerhin hat sich dem Thema schon zugewandt. So drastisch wie Ulrich Seidl in „Paradies: Liebe“ allerdings wohl nie zuvor.
In diesem ersten Teil seiner „Paradies:“-Trilogie zeigt der österreichische Autor und Regisseur, wie eine 50-Jährige das Glück erzwingen will. Sie versucht’s mit untauglichen Mitteln. Teresa (Margarete Tiesel) reist nach Kenia. Dort kauft sie sich die körperliche Zuwendung von Munga (Peter Kazungu). Was sie mit verkitschten Vorstellungen zu Liebe stilisiert, ist nichts als harte Arbeit für den jungen Mann. Er ist ein Dienstleistender. In Verkennung der Realität rutscht Teresa mehr und mehr in die Rolle der Verliererin, und zwar auf ganzer Linie.
Ulrich Seidl kennt kein Pardon. Berühmt-berüchtigt über Österreich hinaus wurde er 1995 mit „Tierische Liebe“, einer kühlen Dokumentation über verschiedene Auswüchse pervertierter Zuneigung von Menschen zu ihren Haustieren. Seitdem begleitet ein heftiges Pro und Contra alle seine Arbeiten, ob Doku oder Spielfilm. Das liegt an der ungeschminkten Deutlichkeit seines Blicks auf nichts als das ganz gewöhnliche Dasein. „Paradies: Liebe“ macht da keine Ausnahme. Schon das erste Beieinander von Teresa und Munga hat etwas Peinliches und Peinigendes. Seidl und seine bewundernswerten Darsteller lassen keinen Zweifel daran, dass Lust und Liebe hier keinen Platz haben. Und so geht es weiter. Das Erschreckende: Im Grunde wissen alle Beteiligten, was Sache ist, und sie wissen auch, wie dem Schrecken zu entkommen wäre. Doch sie schaffen es nicht, über sich selbst hinauszuwachsen. Von Würde keine Spur. Selbsterniedrigung und das Fahrenlassen aller ethischen Grundsätze bestimmen das Geschehen. Die Moral hat ausgedient.
In einer kühnen Balance von Tragik und Komik lotet der Film die zunehmende Verrohung durch die verlogenen Ideale der von Schnäppchen-Jägerei gezeichneten Konsumterror-Gesellschaft aus. Dabei werden die Protagonisten nicht als Idioten abgestempelt. Es sind die Umstände, gepaart mit mangelnder Bildung, die sie zu Idioten machen. Schön ist anders. Vergnügen macht das nicht. Aber der Film ist sehr erhellend. Dieser erste Teil der „Paradies:“-Trilogie fand seine Fortsetzung mit dem im letzten September in Venedig uraufgeführten „Paradies: Glaube“ (der in Deutschland im März in den Kinos startet), einem Drama um eine fanatische Katholikin und ihre völlig überzogene Schein-Heiligkeit. Das Festival hatte einen hübschen Skandal, der Film einen der Preise und prima Promotion. Teil 3, „Paradies: Hoffnung,“ wird im kommenden Berlinale-Wettbewerb präsentiert werden. Auch der wird sicherlich keine lockere Unterhaltung offerieren. Das ist nun mal nicht Ulrich Seidls Sache. Kühl und genau reflektiert er die Wirklichkeit der spätbürgerlichen Gesellschaft. Bei ihm wird das Kino wirklich zum klaren Spiegel des Hier und Heute.
Peter Claus
Paradies Liebe, von Ulrich Seidl (Österreich/ Deutschland/ Frankreich 2012)
Bilder: Neue Visionen
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