Warum noch ein Spielfilm über Ludwig II. (1845 – 1886)? – Genau diese Frage müsste ein neuer Kinofilm über den legendenumwobenen Bayern-König durch sich selbst beantworten. Dieser, realisiert vom Autoren- und Regie-Duo Peter Sehr & Marie Noëlle bleibt die Antwort schuldig. Damit erledigt sich der Film im Grunde selbst. Allerdings: 16 Millionen Euro soll das Ganze nach offiziellen Angaben verschlungen haben. Bei einer derartigen Summe guckt man denn doch etwas genauer hin.
Der neue Spielfilm um den legendären Kini, wie Ludwig II. nach wie vor von vielen genannt wird, ist schlicht, ein Biopic, Station für Station des Lebens der historisch verbürgten in ihren Facetten doch aber nach wie vor recht unbekannten Figur streifend. Auffallend: es wagnert heftig. Ein Entrinnen vor der Musik des Meisters ist unmöglich. Ludwig II. war nun einmal der Förderer des Komponisten Richard Wagner (1813 – 1883). Mit dessen im Mai anstehendem 200. Geburtstag gibt es durchaus einen triftigen Grund, den umstrittenen Mann auch im Kino als Figur zu etablieren. Ein Wagner-Spielfilm, vor allem dann, wenn er sich mit den Auswirkungen seines Denkens und Handelns auf die geistige Entwicklung in Deutschland im frühen 20. Jahrhundert auseinandersetzte, könnte spannend sein. Peter Sehr & Marie Noëlle aber interessieren sich nicht wirklich für Richard Wagner und dessen Tun und Denken. Sie brauchen ihn nur als „Reiz-Figur“, um es schillern und klingen zu lassen. Wesentliche Konflikte, die seine Beziehung zu Ludwig belasteten, werden allenfalls gestreift, viele gar nicht erwähnt. Schon Regisseur Helmut Käutner erzählte in seinem 1955 herausgekommenen Ludwig-Film beispielsweise mehr davon, dass neben anderem auch Wagners Liebe zur verheirateten Cosima von Bülow es Ludwig unmöglich machte, ihn zu halten, wie auch Wagners Versuche politischer Einflussnahme verheerende Auswirkungen hatten. Sehr und Noëlle streifen Wichtiges ohnehin allenfalls. Brav beleuchten sie diesen und jenen Lebensmoment. Nie aber fokussieren sie auf den jeweiligen Kern, lassen sich in keiner Szene Zeit, eine Atmosphäre aufzubauen, vermeiden jeden Anflug von Irritation. Gehastet wird von der Jugend bis zum Tod des Märchenschloss-Erbauers, gedreht vielfach an Originalschauplätzen, wie zum Beispiel Neuschwanstein. Alle Episoden, die angerissen werden, sind garantiert historisch belegbar. Aber kein Moment der Bebilderung wirkt lebendig. Das hat den Reiz eines akribisch angefertigten Protokolls. Die Lust an Kino, also an emotional bewegter Auseinandersetzung mit einer Geschichte, wird dabei nicht bedient. Da nutzt es auch nichts, dass unentwegt die Musik wabert, mal länger, gelegentlich nur sekundenkurz. Weil nicht pointiert eingesetzt, sondern inflationär, verliert die wundervolle Klangfülle Wagners schnell an Reiz. Hier fehlt es deutlich an Mut zu dem, was Ludwig II. wohl im Übermaß besaß: künstlerische Freiheit und Phantasie. Niemand verlangt ja von einem Kunstwerk, dass es sich sklavisch an die Wirklichkeit hält. Es kommt auf Wirkung an. Das wusste schon Schiller, als er Elisabeth I. und Maria Stuart in der wohl berühmtesten Szene seines Dramas und die beiden Kontrahentinnen aufeinander hetzte, obwohl er wusste, dass die zwei Damen einander nie getroffen hatten. Mehr Fiktion statt Faktentreue hätte diesem Filmversuch gut getan. Und mehr Courage, wenn es um die Zeichnung der Persönlichkeit des traurigen Träumers geht. Mitgefühl kommt keines auf. Was auch daran liegt, dass die Dialoge von einer krachledernen Überdeutlichkeit sind. Alles wird erklärt. Geheimnisse, die Ludwig gern selbst schuf, und in denen er lebte, gibt es keine. Stattdessen wird unentwegt gezeigt, was alle wissen, nämlich, dass der Arme ein Mann der Künste war und nicht der Politik.
Und schauspielerisch? Es tritt viel Prominenz auf. Bei vielen sieht es jedoch so aus, als wären sie mal kurz an den Set gekarrt wurden und hätten ihre Dialoge runtergeschnurrt, stets schnurstracks Richtung Pointe. Der Stil der meisten erinnert an das, was den Durchschnitt von TV-Comedy-Shows ausmacht. Aber da ist auch Sabin Tambrea in der Titelrolle. Bekannt wurde er bisher vor allem durch Theaterauftritte, etwa am Berliner Ensemble in den „G’schichten aus dem Wiener Wald“. Er hat eine wunderbar-irritierende androgyne Ausstrahlung – und großes Können. Tambrea verfügt über die Gabe, dem Zuschauer eine enorme Projektionsfläche zu bieten, so dass jeder im Parkett im Gesicht des Schauspielers die Seele der von ihm verkörperten Figur sehen kann. Seine Präsenz ist enorm. Er ist es, der einen im Kino hält! Im Finale des Films, wenn Ludwig erst in den Wahn, dann in den See geht, verkörpert der zweifellos sehr begabte Sebastian Schipper den Monarchen. Peter Sehr und Marie Noëlle haben dem jungen Sabin Tambrea wohl die Verkörperung des gealterten Ludwig nicht zugetraut. Was aus der Sicht des Publikums nicht nachvollziehbar ist. Tambrea hätte bis zum letzten Augenblick eine gute Figur gemacht. Ihn ausgetauscht zu haben, unterstreicht, wie wenig Kunstsinn hier zugange war. So bleibt am Ende vor allem eins: Ratlosigkeit. Und die Frage nach dem Warum, die auch durch Sabin Tambreas brillanten Auftritt nicht beantwortet wird.
Peter Claus
Ludwig II., von Peter Sehr & Marie Noëlle (Deutschland 2012)
Bilder: Warner
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