Venedig ist bekannt wie ein bunter Hund – aus Fotobänden, Filmen, dem Fernsehen. Wer mal kurz da ist, bekommt kaum andere Bilder in den Kopf, als die, die er über die Umwege der Kunst und Publizistik längst verinnerlicht hatte. Da hilft diese Dokumentation. Denn sie schaut abseits der Touri-Pfade.
Autor und Regisseur Andreas Pichler beobachtete Einheimische und Gäste, vor allem Einwohner, die sich gegen das Siechtum der berühmten Stadt zur Wehr setzen. Er zeigt in seinem Dokumentarfilm „Das Venedig Prinzip“ mit gutem Gespür für besondere Bilder einen anderen Blick auf Venedig als den der bewundernden Besucher: den Blick der Einwohner, die teils resignieren, sich teils aber auch gegen das Ausbluten der städtischen Strukturen wehren, dagegen, dass die Stadt gleichsam zum Ableger von Disneyland wird. Pichler fokussiert auf das Hauptproblem: die fehlende bzw. die vernachlässigte Infrastruktur. Mal beleuchtet er das ganz sachlich, des öfteren mit Gefühl, etwa in jener Szenenfolge, da er einen Bettler zeigt, auf dessen Schild geschrieben steht: „I am Venetian, but I have no hotel, no gondola, no souvenirshop!“
Verblüffend: Gezeigt wird ein Desaster, und dennoch stellt sich auch dieser besondere Glanz ein, den wohl jeder mit der Vorstellung von Venedig verbindet. Wenn dann ein riesiges Kreuzfahrtschiff die Stadt geradezu zu erdrücken scheint, wird ohne vordergründigen Verweis der Preis des Ruhms klar. Doch Pichler und sein Kameramann Attila Boa haben sich dem Schrecken nicht ergeben, wie dies auch weniger und weniger Bewohner tun. Als kritische Künstler zeigen die Beiden aber letztlich immer wieder, dass in der legendären Lagunenstadt – geleitet von viel Korruption – der Schein über das Sein triumphiert. Da der Film an keiner Stelle weinerlich wird, wird er zur kraftvollen Anklage einer Gesellschaft, die in ihrer Gier nach Profit konsequent darauf zusteuert, sich selbst zu zerstören.
Peter Claus
Das Venedig-Prinzip, von Andreas Pichler (Deutschland/ Österreich/ Italien 2012)
Bilder: Real Fiction
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