Zugegeben: Ich habe nie verstanden, weshalb der Roman „Die Vermessung der Welt“, als er Mitte des vorigen Jahrzehnts erschien, auf Anhieb ein Welt-Bestseller wurde. Mir erschien der lockere Ton des Autors Daniel Kehlmann doch oftmals aufgesetzt und angestrengt, das weniger von Fakten denn von Fiktion diktierte Aufeinanderprallen des Mathematikers Carl Friedrich Gauß (1777 – 1855) und des Naturforschers Alexander von Humboldt (1769 – 1859) fand ich putzig, ja, leicht unterhaltend, ja, doch nicht wirklich bemerkenswert. Millionen ging es anders. Klar also, dass eine Verfilmung kommen musste.
Detlev Buck, der nun seit zwei Jahrzehnten zu den Garanten guter, intelligenter Unterhaltung mit Anspruch im deutschsprachigen Kino gilt, hat inszeniert. Mit schöner Selbstverständlichkeit entwickelt er die Porträts von Männern, die auf höchst unterschiedliche Art wider die Anpassung des Individuums an angebliche Notwendigkeiten der Gesellschaft rebellieren, nicht drastisch, sondern einfach dadurch, dass sie „anders“ sind und „anders“ leben. Als Zuschauer bestärkt das einen, sich selbst treu zu bleiben. Wunderbar!
Momentaufnahmen aus der Kindheit der Protagonisten setzen erste Glanzlichter. Carl Friedrich Gauß (Lennart Hänsel) stammt aus ärmlichen Verhältnissen. Sein Lehrer (Karl Marcovics) fördert die mathematische Begabung des Jungen und sorgt für eine Vorstellung beim Herzog von Braunschweig (Michael Maertens). Der gewährt ein Stipendium. Der ebenfalls am Hof anwesende Alexander von Humboldt (Aaron Denkel) hingegen wurde von Geburt an weich gebettet. Der adlige Schnösel lebt auf großem Fuß. Die Beiden haben wenig gemeinsam. Hier gelingt es, neben fundierten Charakterbildern auch, und das wie nebenbei, ein facettenreiches Gesellschaftsbild zu malen. Später ist der Fluss der Erzählung dafür etwas zu holprig. Das Leben der Erwachsenen wird in einem Übermaß von Momentaufnahmen, die oft starr wie Standbilder anmuten, geradezu durchgehechelt. Deshalb geht Tiefenschärfe verloren. Gauß, nun verkörpert von Florian David Fitz, entspricht ganz dem Typ des einsamen Denkers im stillen Kämmerchen, Humboldt (Albrecht Abraham Schuch) hingegen dem des Abenteurers. Als Beamter Preußens erkundet er zusammen mit dem Franzosen Aimé Bonpland (Jérémy Kapone) auf höchst waghalsige Weise den Dschungel des Amazonasgebiets. Gauß hingegen schreibt Kluges, empfängt Ehre, und gründet mit Johanna (Vicky Krieps) eine Familie. Erst 1828, fast vier Jahrzehnte nach der ersten Begegnung, kommt es zu einem Wiedersehen mit Humboldt – und damit zu einem Aufeinanderprall zweier hochgradig unterschiedlicher Weltbilder.
Wie bei jeder Literaturverfilmung, so werden die Liebhaber der Vorlage Verluste beklagen. Manches, das im Buch wirklich bemerkenswert ist, wie etwa die Schilderung von Humboldts Zwiespalt und auch Verzweiflung angesichts des zu seiner Zeit als ganz normal angesehenen Sklavenhandels, kommt zu kurz. Dafür besticht die durchgehend feine psychologische Auslotung der Figuren. Buck nutzt sogar die 3D-Technik klug genau dafür. Landschaftsbilder werden zu Spiegeln der Seelen. Die Lust am Schauen wird reichlich bedient. Kameramann Slawomir Idziak, der schon „Harry Potter“ ins rechte Licht gesetzt hat, und der auch nicht zum ersten Mal mit Buck zusammenarbeitete, erweist sich erneut als idealer Partner für den Regisseur.
„Wahre Liebe oder reine Vernunft“ – Gauß kennt allein diese beiden Alternativen, wenn es darum geht, den persönlichen Glücksanspruch zu verwirklichen. Da kann der alte Kant (Peter Matic) nur müde grinsen. Buck macht das im übertragenen Sinn auch, aber, und das ist schlichtweg wunderbar, er denunziert die Figuren damit nicht. Die naive Neugier, die seine Hauptfiguren antreibt, hat er offenkundig selbst in sich. Diese Neugier – die bei Buck vielleicht als erstes zur Frage führte, ob dieser Roman überhaupt verfilmbar ist – gibt dem Film einen wohligen Charme. Die typgerechte Besetzung trägt das. Viele, die den Roman bereits kennen, greifen vielleicht sogar noch einmal zu dem Buch, die anderen sicher in großer Zahl zum ersten Mal. Die Buchhändler wird’s freuen. Buck sei Dank. Der kann es einfach. Schad, dass er relativ selten Regie führt.
Peter Claus
Die Vermessung der Welt, von Detlev Buck (Österreich/ Deutschland 2012)
Bilder: Warner
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