Marlen Haushofers Roman „Die Wand“ gilt vielen als eine der wichtigsten literarischen Publikationen der westeuropäischen Frauenbewegung der 1960er und 70er Jahre. In ihrem 1963 in ihrer Heimat Österreich und 1968 in der Bundesrepublik Deutschland erschienenen Roman erzählt die Autorin von einer Frau ohne Namen, die bei einem Ausflug in die Natur plötzlich von einer unsichtbaren Wand daran gehindert wird, in ihren Alltag zurückzukehren. Völlig auf sich gestellt, zunächst nur von wenigen Tieren begleitet, harrt sie in einer Hütte aus, versucht das Überleben, notiert in einem Tagebuch Erlebnisse und Empfindungen. Was sie da erlebt, wurde und wird vielfach von Feministinnen als Reflexion der Möglichkeiten und Unmöglichkeiten weiblicher Selbstverwirklichung in der spätbürgerlichen Gesellschaft gedeutet. Schauspielstar Cornelia Schmaus hat vor ein, zwei Jahren das Buch für sich exzellent fürs Theater übertragen und es in einer packenden Melange aus Lesung und Spiel auf die Bühne gebracht. Bei ihr kamen, gestützt von emotionaler Intensität, vor allem die gesellschaftspolitischen Aspekte ins Blickfeld. Die Verfilmung nun stürzt sich auf die Psychologie. Beleuchtet wird folgende Frage: Was passiert mit einem Menschen, der plötzlich in eine völlig irreale Situation gerät, die er als seine neue Realität annehmen muss? Das ist spannend. Und Martina Gedeck fesselt allein schon mit ihrer Präsenz. Doch der 1954 geborene österreichische Regisseur Julian Pösler versucht, die sozialkritische Dimension zu fassen. Bilder hat er dafür nicht. Die üppigen Landschaftsaufnahmen bleiben gefährlich nah an Postkartenkitsch und haben nicht mehr Überzeugungskraft als abgenutzte „Zurück zur Natur“-Parolen. Über diesen Bildern aber liegt als Off-Kommentar ein Großteil des Roman-Textes. Martina Gedeck erzählt uns hier, was sie im Roman ins Tagebuch schreibt. Das wird dann unfreiwillig komisch, wenn sie nur sagt, was wir ohnehin sehen. Die Zivilisationskritik der Erzählung leuchtet viel eher in einigen stummen Momenten auf, etwa dann, wenn die Frau tastend versucht, einen Durchschlupf in der Wand, die sie nicht sehen, nur fühlen kann, zu finden. Doch solche Augenblicke sind rar. Denn es werden zu viele Worte gemacht.
„Die Wand“ galt über Jahrzehnte als unverfilmbar. Bei aller Stärke von Martina Gedeck, bei allem Mut der Regie, das Buch keinem modischen Schnickschnack zu opfern, wird scheinbar das genau durch diesen Filmversuch bestätigt. Dann aber fällt einem Andrey Tarkovskiys „Stalker“ aus dem Jahr 1979 ein. Und da muss man dann sagen: Pöslers Film fehlt es schlichtweg an der gestalterischen Konsequenz dieses Meisterwerkes. Wenigstens aber hat er es versucht. Endlich einmal keine Komödie, kein Krimi, keine Kinkerlitzchen. Endlich einmal wieder ein Film aus dem deutschsprachigen Raum, der nach Höherem strebt. Allein das ist schon eine Wohltat!
Peter Claus
Die Wand, Julian Pösler (Österreich/ Deutschland 2012)
Bilder: Studiocanal
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