Von der Last, glücklich zu sein
Blick zurück aufs Heute: Paris in den Sechzigern. Schuhverkäuferin Madeleine bessert ihr spärliches Einkommen ab und an als Amateurnutte auf. Aus einem der Freier, einem tschechischen Arzt, wird erst der Geliebte, dann der Gatte. Eine Tochter vervollkommnet das Glück. Doch klar: das ist brüchig, und dies nicht nur, weil er nicht treu sein kann. Die Folgen des Prager Frühlings verändern nicht nur die gesellschaftlichen Gegebenheiten. Die Beiden gehen auseinander und andere Beziehungen ein. Doch ein besonderes Band verbindet sie weiterhin. Als die Tochter Jahrzehnte später ratlos zwischen zwei Männern steht, werden Parallelen zu einst, wie jedoch ebenso der Wandel des Regelkanons in der bürgerlichen Gesellschaft deutlich. Die Verknüpfung von Privatem und Politischem ist unübersehbar. Und genau das gibt der an sich gar nicht sonderlich aufregenden Geschichte eine ziemliche Spannung.
Dazu kommen die Klasse der Inszenierung und die Akteure: Autor und Regisseur Christophe Honoré vereint auf mitreißende Weise Elemente des Dramas, Musicals, der Romanze und eines Sozialpanoramas und dazu ein großartiges Darstellerensemble. Chiara Mastroianni und ihre Mutter Catherine Deneuve, Ludivine Sagnier, Louis Garrel und Milos Forman ermöglichen mit ihrer Kunst selbst Leuten, die „typisch französisches Kino“ gar nicht mögen, den Zugang. „Typisch französisch“: Gedreht in Paris, Prag, London und an anderen reizvollen Orten, angereichert mit einigen eigens für den Film komponierten Chansons, wird, dabei rund vierzig Jahre spiegelnd, wirklich von Liebe, Tod und Teufel erzählt, wird selbst Schwierigstes, wie der Umgang mit Aids, ganz leichtfüßig anmutend verhandelt. Da wird viel geredet, gern gesungen und so manche Volte geschlagen, denn ein geradliniger, alles erklärender Erzählstil ist Honorés Sache nicht. Wie, das irritiert zunächst, scheinbar auch nicht der Mut, wirklich bis in die Gegenwart zu gehen. Der Bilderbogen endet Anfang des vergangenen Jahrzehnts, nicht in rosarot. Kann sein, dass Christophe Honoré ziemlich düstere Ansichten über den gegenwärtigen Stand der so genannten westlichen Welt hat. Womit wir denn als Zuschauer gedanklich im Hier und Heute landen. So, wie es uns der Film überlässt, Motive und Sehnsüchte und Ängste der Protagonisten meist selbst zu deuten, so überlässt er uns auch das Deuten einer möglichen Botschaft. Das macht den großen Charme des an sich kleinen Films aus: Er lüftet nicht jedes Geheimnis, erklärt nicht alles und gibt dem Einzelnen im Publikum damit jede Freiheit, sich selbst einzubringen. Unterhaltung für Erwachsene also.
Peter Claus
Die Liebenden, von Christophe Honoré (Frankreich/ England/ Tschechien 2011)
Bilder: Senator
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