Die Teenies im Freundeskreis, durchweg lesehungrige kluge junge Leute, die „Harry Potter“ mit Sympathie und den „Biss…“-Vampiren mit Ironie begegnet sind, kreischen angesichts dieses Spektakels vor Begeisterung und rennen mehrfach ins Kino. Also bin ich mitgerannt – und staune: Das Fantasy-Abenteuer erweist sich als äußerst düsterer Blick in eine mögliche Zukunft und damit in unsere Gegenwart. Nichts da von weltfremdem Trallala, knallhart geht’s zu.
Gezeigt wird eine kaputte Welt. Zerbrochen sind nicht allein, wie schon heute, die alten Wertvorstellungen, nein, die materielle Welt ist am Bröckeln. Naturkatastrophen haben die Menschheit in die Schranken verwiesen. Im Land Panem herrscht nun aber nicht schlichte Menschlichkeit, sondern das Geld. Das regiert im sogenannten Kapitol. In zwölf Distrikten leben die, die vom Kapitol aus ausgesaugt werden. Was zu Aufständen geführt hat, die brutal zerschlagen worden sind. Nicht genug damit, fordert der Präsident (Donald Sutherland) aus Rache alljährlich einen Tribut: pro Distrikt müssen ein Junge und ein Mädchen im schönsten Jugendalter entsandt werden, die dann in einem inszenierten Medien-„Spiel“ gegeneinander antreten, einem „Spiel“ auf Leben und Tod. Als Katniss Everdeen (Jennifer Lawrence) und Peeta Mellark (Josh Hutcherson) von Haymitch Abernathy (Woody Harrelson) auf ihre Einsätze vorbereitet werden, beginnt ein Kampf gegen die Allmacht des Bösen. Es sieht lange nicht so aus, als gäb’s dabei für die jungen Leute auch nur die kleinste Chance auf einen Sieg.
Für Spannung also ist gesorgt. Das aber wird im Verlauf des Geschehens fast nebensächlich. Regisseur Gary Ross und seine beiden Drehbuchmitautoren haben die Bestseller-Adaption entsprechend der Vorlage ganz auf gesellschaftskritische Fragestellungen ausgerichtet. Der Gedankenreichtum ist höchst publikumswirksam verpackt. Gebildete Zuschauer haben sofort viele Assoziationen, die über das Unvorstellbare in den deutschen Konzentrationslagern der Nazis bis zurück zum Gladiatoren-Horror im Alten Rom reichen, die aber auch heutige Schauplätze des Schreckens in unserer Welt einbeziehen.
Naive Zuschauer werden spätestens dann hellwach, wenn die blutigen Spiele ins Zentrum rücken – klare Weiterentwicklungen von gegenwärtigem TV-Müll wie „Deutschland sucht den Superstar“ oder „Dschungelcamp“. Nicht nur erinnert der eklig-salbungsvolle Moderator Caesar (Stanley Tucci) an Typen, die Fernsehkonsumenten bis zum Erbrechen kennen. Wichtiger: Es wird ohne vordergründiges Draufherumreiten deutlich, dass hier Menschen verheizt werden, um Geld zu machen – via Massenvermarktung des Schreckens als Show. Klar wird auch: diverse sogenannte „soziale“ Netzwerke im Internet sind bereits Vorstufen derartigen Übels. Das ist harte Kost. Mit überraschender Wirkung, die ich, natürlich absolut nicht repräsentativ, bei einzelnen jungen Kino-Fans beobachten konnte: Sie haben ihre Netzwerk-Konten im Internet abgemeldet und gehen auf Emanzipationskurs in Sachen Kommunikation. Bleibt zu hoffen, dass dies Schule macht – und dass die zwei noch folgenden Teile der Trilogie die gleiche Klasse haben wie dieser erste.
Peter Claus
Die Tribute von Panem – Tödliche Spiele, von Gary Ross (USA 2012)
Bilder: Studiocanal
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