Regisseur Christian Schwochow hat 2008 mit seinem Debüt „Novemberkind“ nachhaltig auf sich aufmerksam gemacht. Da ist das Interesse an seinem neuen Film groß, beim Festival um den Max Ophüls Preis in Saarbrücken vor gut zwei Wochen etwa war der Andrang der Zuschauer enorm, das Echo überaus positiv.
Dabei lockt das vermeintliche Thema, die Identifikationssuche einer jungen Schauspielerin, erst einmal vielleicht nicht sonderlich. Die Stichworte lassen einen egozentrischen Seelentrip vermuten. Aber so, wie die Stichworte nicht wirklich den Film treffen, werden entsprechende Befürchtungen auch nicht erfüllt.
Der Ausgangspunkt der Erzählung liegt im Theater: Regisseur Kaspar Friedmann (Ulrich Noethen) will das Stücks „Camille“ mit Schauspielstudenten inszenieren. Für die Hauptrolle wählt er die scheue Fine Lorenz (Stine Fischer Christensen). Sie wirkt zunächst blass, geradezu uninteressiert. Gerade das scheint Kaspar zu reizen. Er will mit (psychischer) Gewalt, das Tier in Fine aufwecken, ihre Lust am Sex, am Frausein. Fine begreift zunächst gar nicht, was der Mann von ihr will. Doch je mehr sie sich ergibt, umso stärker wird sie scheinbar – und zugleich zerbrechlicher. Bald sieht es so aus, als würde sie ernsthaft seelischen Schaden nehmen. Es stellt sich die Frage, ob eine Katastrophe unausweichlich ist, oder ob es die Beteiligten schaffen, wirklich zu sich selbst und damit zu einem guten Leben zu finden.
Der Plot ist nicht neu. Robert Aldrichs „Große Lüge Lylah Clare“ hat ihn 1968 auf die Spitze getrieben. Christian Schwochows Film wirkt dagegen leise, zurückhaltend, angenehm verhalten. Das trifft auch zu, wenn der von vielen Kritikern bemühte Vergleich zu Darren Aronofskys „Black Swan“ angestellt wird. Wie dort, so wird auch hier der Zusammenhang von Körper und Seele ins Visier genommen. Doch in diesem Film so, dass auch Menschen, die nichts mit Theater, Film oder dem Showgeschäft an sich zu tun haben, sich einklinken können. Für Theaterfans freilich sind die Szenen um die Mühen der Arbeit an einer Inszenierung sicherlich Highlights.
Das ist in großem Maß der aus Dänemark stammenden Hauptdarstellerin Stine Fischer Christensen zu danken. Sie wirkt – und das ist in diesem Fall positiv gemeint – absolut durchschnittlich. Sie entfacht die vielen Facetten der Geschichte und von Fines Persönlichkeit mit einer sehr für die Figur einnehmenden Ruhe, fast Gelassenheit – und mit einer großen Wandlungsfähigkeit. Besonders spannend ist das, wenn sich die Persönlichkeiten Fines und Camilles „mischen“.
Christian Schwochows stimmige Inszenierung lädt jeden Zuschauer ein, eigene Fragen an die Figuren und damit an sich selbst zu stellen. Das ist von großem Reiz. Denn es gibt wohl niemanden, dem sich nicht schon einmal die Frage aufgedrängt hat, „Wer bin ich eigentlich?“
Peter Claus
Die Unsichtbare, von Christian Schwochow (Deutschland, Frankreich 2011)
Bilder: Falcom
- „Rosenmontag For Future“ Oder: Lachen schult das freie Denken - 9. Februar 2020
- Thilo Wydra: Hitchcock´s Blondes - 15. Dezember 2019
- Junges Schauspiel am D’haus: „Antigone“ von Sophokles - 10. November 2019
Schreibe einen Kommentar