Die deutsch-russisch-ukrainische Gemeinschaftsproduktion beleuchtet grundsätzliche Fragen des Mensch-Seins. Die Handlung ist angesiedelt zwischen Gestern und Morgen, zwischen Wachen und Wahn, zwischen Krieg und Frieden, in einem seltsam-diffusen Zeit-Raum-Gefüge also. Der Ort ist konkret und mutet doch unwirklich an: eine Insel vor der deutschen Ostseeküste. Es geht, Anfang Mai 1945, in die letzten Tage, ja, Stunden, des Zweiten Weltkriegs. Acht Männer der sowjetischen Armee besetzen ein Kinderheim. Rund einhundert Männer der Wehrmacht wollen von der Insel nach Dänemark fliehen, weg von den Russen, zu den Engländern. Dazwischen: die Frauen und die Kinder des Heimes. Nur ein Junge ist dabei, Peter, zwölf Jahre, nicht mehr Kind und noch nicht Mann. Aber er ist Patriot, jedenfalls das, was er, der nie eine andere Zeit als die Nazizeit erlebt hat, dafür hält. Der Krieg ist vorbei, aber der Friede hat noch nicht begonnen. Da gerät Peter zwischen die Fronten, von Gut und Böse.
Regisseur und Drehbuch-Mitautor Achim von Borries hält sich fern von üblichen Antikriegs-Film-Mustern. Fast kammerspielartig, dabei aber durchaus auch auf Momente starker Dramatik setzend, zeigt er die grundsätzliche Absurdität allen Mordens im Namen einer Ideologie. Üppig inszenierte Schlachtszenen braucht es dazu nicht. Stattdessen verfolgt der Film sehr genau die emotionalen Wandlungen der Figuren, die alle, jede auf ihre Art, durch die Hölle gehen müssen. Gelegentlich ist die Musik dazu ein wenig zu plakativ geraten. Doch der starke Gesamteindruck wird davon nicht getrübt!
Bei den Filmfestivals in München und in Locarno, wo der Film in diesem Sommer gezeigt wurde, reagierten die Kritiker unterschiedlich, während das Publikum nahezu einhellig angetan, ergriffen, war. In meinem Kopf (und im Bauch) hat sich der Film festgesetzt. Es ist stark, wie es gelingt, das Irrsinnige aller Kriegsspiele in den müden Gesichtern der Soldaten, in den viel zu alten Augen des halbwüchsigen Jungen, in der von Resignation geprägten Körpersprache der Frauen zu spiegeln. Das prägt sich ein und regt zum Nachdenken über den Filmabend hinaus an. Große Wirkung also.
Peter Claus
4 Tage im Mai, Achim von Borries (Deutschland 2011)
Bilder: X-Verleih
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