Demenz. Ein aktuelles Thema. Mehr und mehr Menschen erreichen ein sehr hohes Alter – und sinken in kindliche Unwissenheit zurück. Wie damit umgehen? Ist die Gesellschaft vorbereitet? Wo liegt der Sinn eines solchen Lebens?
Andreas Kannengießers Film kann die Fülle der mit dem Thema verbundenen Fragen nicht beantworten. Und zum Glück versucht er das auch gar nicht. Er erzählt eine starke Geschichte mit starken Schauspielern, sensibel inszeniert, dabei das Bedürfnis der Zuschauer nach emotional aufgeladener Spannung wirkungsvoll bedienend.
Die Story dreht sich um drei Protagonisten: Hannelore (Renate Krößner), die ihren an Demenz leidenden Mann Klaus (Hermann Beyer) pflegt und Nachbar Günther (Dieter Mann). Als der unerwartet verreist, reist sie, von der Pflege des Mannes arg überfordert, ihm nach. Sie wird davon überrascht, dass Günther in einer sehr schwierigen, alles andere als rosigen Lebenssituation ist. Der Versuch, aufeinander zuzugehen, einander vielleicht auch zu helfen, wird deshalb zu einem besonderen Abenteuer. Dann ist da auch noch Heiko (Eugen Krössner), der gezwungen ist, sich um den Vater zu kümmern.
Die Story sei hier nicht in allen Einzelheiten verraten. Das nähme zu viel von der Spannung, die sich einstellt. Schön ist, dass diese Spannung nicht auf harsche Äußerlichkeiten setzt. Drehbuch und Regie und die Schauspieler haben den Figuren eine schöne Komplexität gegeben, so dass die inneren Anspannungen, Zweifel, Hoffnungen den Gang des Geschehens bestimmen.
Ich weiß nicht, wie stark der Drehbuchautor Nico Woche und der Regisseur Andreas Kannengießer eigene Erfahrungen verarbeitet haben. Zumindest stellt sich der Eindruck ein, dass sie viel über Menschen in verzweifelten Lebenslagen wissen. Das Thema Demenz wird hier weder wissenschaftlich noch kitschig ins Zentrum gerückt. Es ist ein Thema des Films. Die Veränderungen der Betroffenen (der an Demenz leidenden und ihrer Angehörigen) wird bewundernswert feinfühlig gespiegelt. Wer schon mit Demenz konfrontiert wurde, staunt, wie klug der Film in dieser Hinsicht ist.
Nun reicht Klugheit aber nicht, um ein großes Publikum zu fesseln. Das gelingt hier insbesondere auch durch die emotionsgeladene Geschichte. Renate Krößner und Dieter Mann in den Rollen von Menschen, die jeder auf andere Art verzweifelt sind, agieren sehr zurückgenommen. Vom Drehbuch mit angenehm wenigen, dabei treffenden Dialogen ausgestattet, gelingen ihnen durch Körpersprache und Mimik abgestufte Porträts. Hier wird nicht „auf die Tube“ gedrückt. Genau deshalb ist die Wirkung enorm. Besondere Freude: auch musikalisch waltet Dezenz. Man fühlt sich als Zuschauer nie durch irgendwelche akustischen Signale manipuliert und kann sich deshalb der Geschichte wirklich ganz hingeben.
Der Film, das sei nochmals betont, gibt keine Anleitung zum Umgang mit Demenzkranken. Schlichte Antworten auf drängende Frage bleiben aus. Mitfühlen und Nachdenken hingegen werden kräftig angeregt. Genau deshalb prägt sich die Geschichte von der Suche einiger Menschen nach Erfüllung stark ein.
Peter Claus
Vergiss Dein Ende, Andreas Kannengießer (Deutschland 2010)
Bilder: Basis
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